Interview

"Das Interesse an der Gemeinschaftsschule ist riesig"

Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer (Foto: dpa)

Im kommenden Schuljahr gehen die ersten Gemeinschaftsschulen an den Start. "Das Interesse an der Gemeinschaftsschule ist riesig", sagt Kultusministerin Gabriele Warminski-Leitheußer im Gespräch mit der Südwest Presse. Die Opposition lädt sie zur Zusammenarbeit ein.

Südwest Presse: In der Landes-CDU gibt es den Ruf nach einem Volksentscheid zur Gemeinschaftsschule. Sehen Sie Ihr wichtigstes Projekt in Gefahr?

Gabriele Warminski-Leitheußer: Nein, keinesfalls. Das Interesse an der Gemeinschaftsschule ist riesig, das bleibt auch der CDU nicht verborgen. Sie sieht ihre Felle in der Schulpolitik davonschwimmen, zumal auch viele CDU-Kommunalpolitiker diese neue Schulart wollen. Der Ruf nach einem Volksentscheid ist also Ausdruck des Zustandes der CDU. Im Übrigen hat es eine solche Abstimmung längst gegeben - das war die Landtagswahl 2011.

Südwest Presse: Damals standen Stuttgart 21 und die Atomkatastrophe von Fukushima im Fokus.

Warminski-Leitheußer: Ja, aber auch die Bildungspolitik ist für eine Landtagswahl immer entscheidend. Wir haben stets gesagt: Niemandem soll die Gemeinschaftsschule aufgezwungen werden. Und so halten wir es auch.

Südwest Presse: Konkret?

Warminski-Leitheußer: Die Kommunen entscheiden selbst darüber, ob sie einen Antrag stellen. Es wird also ohnehin vor Ort darüber diskutiert: Gibt es eine Mehrheit für die Gemeinschaftsschule? Die Entscheidung ist stets freiwillig. Die CDU unterstellt, Grün-Rot wolle den Bürgern etwas aufzwingen, gegen das man sich wehren müsse. Genau das ist nicht der Fall.

Südwest Presse: In der Opposition wollten SPD und Grüne den S-21-Entscheid auch um des Friedens willen. Brauchen wir im Land einen Schulfrieden?

Warminski-Leitheußer: Ideologische Auseinandersetzungen haben in der Schulpolitik nichts verloren. Ich habe CDU-Fraktionschef Hauk deshalb eingeladen, gemeinsam mit mir eine Starterschule zu besuchen, damit er weiß, worum es geht. Leider bisher ohne Antwort. Ich biete CDU und FDP eine Zusammenarbeit an. Vorausgesetzt, beide nehmen zur Kenntnis, dass die Abstimmung mit den Füßen schon seit Jahren läuft.

Südwest Presse: Inwiefern?

Warminski-Leitheußer: Wir haben die Gemeinschaftsschule nicht herbeigeredet, sondern reagieren darauf, dass viele Eltern heute für ihre Kinder keine Trennung nach der 4. Klasse und mindestens einen mittleren Bildungsabschluss anstreben.

Südwest Presse: Steht die Hauptschule vor dem Aus?

Warminski-Leitheußer: Das müssen wir abwarten. Ich orientiere mich an den Bedürfnissen der Menschen. Der Wunsch nach dem Erhalt der Hauptschule scheint nicht allzu ausgeprägt. Was sich daraus ergeben wird, etwa ein zweigliedriges Schulsystem mit dem Gymnasium und mit einer zweiten weiterführenden Schule, wird sich zeigen. Auf die Förderung der schwächeren Kinder müssen wir dabei besonders achten.

Südwest Presse: Im Moment fürchten Gymnasien und Realschulen vor allem, dass sie ins Hintertreffen geraten, weil viel Geld in den Ausbau der Gemeinschaftsschule fließt.

Warminski-Leitheußer: Das ist Unfug. Von 3.300 Deputaten, die wegen des Schülerrückgangs rein rechnerisch wegfallen, aber von uns im System belassen werden, sind 60 für die Gemeinschaftsschule vorgesehen. Der Aufbau der neuen Schulart wird niemanden belasten - auch nicht die Berufsschulen. Hier werden wir allerdings lange brauchen, bis wir das übernommene strukturelle Defizit in der Unterrichtsversorgung deutlich abgeschwächt haben. Dennoch: Mit den neuen Einstellungen haben wir die Lage im Griff.

Südwest Presse: Wann wird sich am Dauerärgernis Unterrichtsausfall etwas ändern - und zwar spürbar?

Warminski-Leitheußer: Am Stundenausfall, also an der Unterrichtsversorgung entscheidet sich, ob wir gute Bildungspolitik machen oder nicht. Ich weiß, dass ich daran gemessen werde und alle unsere Projekte nichts gelten, wenn wir in diesem Punkt versagen.

Südwest Presse: Was werden Sie tun?

Warminski-Leitheußer: Die feste Krankheitsreserve wird binnen vier Jahren um 800 Stellen aufgestockt. Und ich habe mit dem Finanzminister vereinbart, dass die Mittel für zusätzliche Zeitverträge im nächsten Doppelhaushalt nicht mehr gedeckelt werden. Wir werden das erhalten, was wir für eine gute Unterrichtsversorgung brauchen.

Südwest Presse: Steht Ihr Ministerium nicht unter Sparzwang?

Warminski-Leitheußer: Auch ich muss mir anschauen: Wo gebe ich Geld aus und wo nicht? Aber ich stehe dafür: An der Unterrichtsversorgung wird nicht gespart, und wir wollen auch den Ausbau der Ganztags-Grundschule vorantreiben.

Südwest Presse: Warum?

Warminski-Leitheußer: Die Nachfrage hierfür wird weiter steigen. Ich strebe einen neuen Pakt mit den Kommunen an, um eine gesicherte Finanzierung hinzubekommen. Davon können alle profitieren: Der Ausbau der Ganztagsschulen ist ein wichtiger Standortfaktor.

Südwest Presse: Wo sehen Sie Sparpotenzial?

Warminski-Leitheußer: Die Frage ist: Wie können wir effizienter arbeiten? Wenn ich Geld für eine gute Unterrichtsversorgung benötige, muss ich unter Umständen auf Dinge wie die Fremdevaluation verzichten. Diese Unterrichtsbesuche sollen die Qualität von Schulen abbilden, ohne dass sie dadurch automatisch besser wird. Das schlägt jedes Jahr mit 108 Deputaten zu Buche. In den Regierungspräsidien könnte es Sparpotenzial geben, wenn Aufgaben neu geordnet und anders verteilt werden.

Südwest Presse: Im zurückliegenden Schuljahr gab es mitunter heftige Kritik an Ihrer Amtsführung. Hat Sie das verletzt?

Warminski-Leitheußer: Mich trifft unsachliche Kritik, die ohne Begründung bleibt.

Südwest Presse: Ein Beispiel?

Warminski-Leitheußer: Wenn es heißt: Die macht nur handwerkliche Fehler - was wollen Sie dem anfangs entgegensetzen? Am Ende dieses Schuljahres kann ich aber belegen: Wir haben anspruchsvolle Veränderungen auf den Weg gebracht: den Start für die Gemeinschaftsschule, das G-9-Angebot, das Ende der verbindlichen Grundschulempfehlung und den Umbau der Werkrealschule. In so kurzer Zeit geht das nur, wenn man sorgfältig arbeitet.

Südwest Presse: Welche Kritik war berechtigt?

Warminski-Leitheußer: Nach 56 Jahren CDU-Herrschaft mussten wir inhaltlich völlig neu anfangen. Im Kultusministerium haben wir doppelt so viele Posteingänge wie in den Jahren zuvor, es gibt viele Wünsche und Anregungen. Die Erwartungshaltung ist ungeheuer groß. Da bleibt Ungeduld nicht aus. Manchem geht es nicht schnell genug, das verstehe ich. Aber ich kann nur einen Schritt nach dem anderen machen. Ich weiß aber auch, dass einige nicht damit klarkommen, dass ich sage: Querdenken ist ausdrücklich erwünscht.

Südwest Presse: Was meinen Sie damit?

Warminski-Leitheußer: Ich gehe anders mit Menschen um als meine Vorgänger, fühle und denke nicht in Hierarchien, halte wenig von Hackordnungen. Ich wende mich an den, der Erfahrung hat und für eine gute, kreative Arbeit nicht unbedingt einen Erlass braucht.

Südwest Presse: Welche persönliche Bilanz ziehen Sie nach dem ersten Schuljahr als Ministerin?

Warminski-Leitheußer: Mit meiner Aufgabe fühle ich mich total wohl. Vor allem aber bin ich froh, dass wir nach den Ferien mit der Gemeinschaftsschule beginnen können. Damit setze ich ein Signal: Der Betondeckel ist endgültig gelüftet.

Quelle:

Südwest Presse

Weitere Meldungen

Staatssekretär Volker Schebesta sitzt mit Kindern und Auszubildenden des Direkteinstiegs Kita an einem Tisch.
  • Frühkindliche Bildung

Schebesta besucht Auszubil­dende des Direkteinstiegs Kita

Logo „VivelaWir. Grenzenlose Partnerschaft“ auf der Internetseite „VivelaWir“ der Partnerschafts-Konzeption Baden-Württemberg & Frankreich
  • Kommunen

Dritter Zukunftsdialog Städtepartnerschaften

Straßenbaustelle an der B31 im Schwarzwald (Bild: © dpa).
  • Straßenverkehr

B29-Sanierung

Bauer füttert Ziegen
  • Landwirtschaft

Entlastung für Landwirte

Portrait von Thomas Rupp
  • Verwaltung

Neue Leitung beim Finanzamt Ehingen

Gut Beraten!
  • Ländlicher Raum

Land fördert innovatives und bürgerschaftliches Engagement

Eine Mutter geht mit einem Kinderwagen über einen Zebrastreifen.
  • Fußverkehr

Attraktive Gehwege und sichere Schulwege

Eltern und Kinder turnen in einer Sporthalle in Berlin.
  • Sport

18 Millionen Euro für 117 kommunale Sportstätten

Schülerinnen und Schüler heben im Schulunterricht die Hände.
  • Bildung

Koalition bringt großes Bildungspaket auf den Weg

Holzbaupreis 2022: Kirchturm mit Aussichtsplattform in Gutach im Breisgau
  • Forst

Holzbau-Fachkongress Friedrichshafen

Pressekonferenz zu BAO Pandora mit Innenminister Thomas Strobl, Justizministerin Marion Gentges, LKA-Präsident Andreas Stenger
  • Cybersicherheit

Schlag gegen international organisierten Telefonbetrug

Ein blaues, rundes Schild mit einem Fahrrad als Symbol, welches Sonderwege für Radfahrende kennzeichnet. Im Hintergrund sind Baumkronen.
  • Radverkehr

Bad Peterstal–Bad Griesbach: Radweg freigegeben

Ein Länderschild «Deutschland-Schweiz» ist an der deutsch-schweizerischen Grenze zu sehen. (Bild: Patrick Seeger / dpa)
  • Forschung

Neue Impulse für die Wissenschaftsbeziehungen mit der Schweiz

Logo des Innovationspreises  Bioökonomie Baden-Württemberg
  • Bioökonomie

Fünfter Ideenwettbewerb Bioökonomie gestartet

Abiturienten lesen sich kurz vor Beginn der Prüfung die Abituraufgaben im Fach Deutsch durch. (Foto: © picture alliance/Felix Kästle/dpa)
  • Schule

Abschlussprüfungen an den beruflichen Schulen starten

Kabinettsausschuss Entschlossen gegen Hass und Hetze
  • Innere Sicherheit

Fünfte Sitzung des Kabinettsausschusses gegen Hass und Hetze

  • Podcast zum Bundesrat

SpätzlesPress #2: Organspende – Eine Geste für das Leben

Symbolbild Elektro-LKW (Bild: © picture alliance/Britta Pedersen/zb/dpa)
  • Elektromobilität

Ausbau und Netzintegration von Ladeinfrastruktur für E-Lkw

Blick auf die Landesgartenschau Wangen mit einem bunten Blumenfeld im Vordergrund
  • Verkehr

Nachhaltige und innovative Mobilität auf der Landesgartenschau

Polizisten kontrollieren eine Gruppe Jugendlicher. (Foto: dpa)
  • Gesetzentwurf

Ministerrat beschließt Änderungen des Landesbeamtengesetzes

Menschen gehen über die Bernhardusbrücke in Bad Krozingen.
  • Kommunen

Bad Krozingen wird Große Kreisstadt

Die Kabinettsmitglieder sitzen am Kabinettstisch der Villa Reitzenstein.
  • Landesregierung

Bericht aus dem Kabinett vom 30. April 2024

Geschäftsleute in einem Sitzungssaal diskutieren unter der Leitung einer Führungskraft.
  • Gründungskultur

Baden-Württemberg stärkt Start-up-Förderung

Eine Auszubildende steht am Schaltpult einer computergesteuerten Fräsenmaschine (Symbolbild, © dpa).
  • Arbeitsmarkt

Wenig Aufschwung auf dem Arbeitsmarkt

Verkehrsminister Winfried Hermann und Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut auf dem Fahrrad mit weiteren Radfahrenden beim STADTRADELN-Auftakt 2024
  • Radverkehr

Auftakt zum STADTRADELN 2024