Interview

„Realitätsnahe Messungen im tatsächlichen Fahrbetrieb “

Verkehrsminister Winfried Hermann (Foto: dpa)

Nach dem Abgas-Skandal bei VW versucht der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) Schadensbegrenzung. Er ist überzeugt, dass Tests bei zugelassenen Fahrzeugen Daimler und Porsche entlasten, Werte manipuliert zu haben.

Stuttgarter Nachrichten: Herr Minister Hermann, mit Ihren „Dopingkontrollen für Autobauer“ haben Sie vor allem die Autofahrer erschreckt. Was haben Sie tatsächlich vor?

Winfried Hermann: Metaphern können leicht missverstanden werden – deshalb werde ich sie auch nicht mehr verwenden. Wir hatten bereits mehrere Treffen mit Experten von Prüforganisationen wie Dekra und Tüv und hochrangigen Vertretern der baden-württembergischen Automobilindustrie. Wir haben überlegt, wie man nach dem VW-Abgas-Skandal Schaden von den heimischen Herstellern durch unabhängige Tests abwenden kann. Sie haben eindeutig erklärt, die eingesetzte Software werde nicht für Manipulationen missbraucht. Wir haben uns jetzt verständigt, möglichst realitätsnahe Messungen auf dem Prüfstand und im tatsächlichen Fahrbetrieb zu machen.

Was erwarten Sie sich davon?

Hermann: Wir müssen den pauschalen Manipulationsvorwurf aus der Welt schaffen. Es liegt auch im ureigenen Interesse der baden-württembergischen Industrie, dass unabhängig geklärt wird, ob ihre Produkte sauber sind. Falls es keine erhebliche Differenz zwischen den Messungen gibt, wäre das ein Beweis.

Welche Hersteller müssen mit Kontrollen rechnen?

Hermann: Daimler und Porsche. Es geht zunächst nur um die Plausibilisierung der Behauptung, „Wir sind sauber“. Das ist Phase eins.

Und dann?

Hermann: Es gibt aber nicht nur den technisch organisierten Betrug wie bei VW, der jetzt strafrechtlich verfolgt wird. Die Umweltverbände und die Grünen erheben seit langem den Vorwurf, dass auch die legalen Tests auf dem Prüfstand wenig mit dem Schadstoffausstoß der Autos im realen Verkehr zu tun haben. Und daraus folgt der nächste Schritt, dass die Testfahrzeuge nicht nur auf Prüfständen sondern im Straßenverkehr gemessen werden.

Wie schnell lässt sich ihr neues Verfahren umsetzen und wer bezahlt dafür?

Hermann: Bezahlen wird das Land. Wie schnell die Umsetzung geht, wissen wir noch nicht. Wir versuchen, noch dieses Jahr zu Ergebnissen zu kommen. Ministerpräsident Kretschmann hat mich dringend gebeten, dies so schnell wie möglich zu machen.

Kretschmann steht also hinter Ihren Plänen?

Hermann: Absolut. Einige böswillige anderslautende Unterstellungen haben eher verwirrt. Es wird auch nicht bei den Autobauern im Werk kontrolliert, wie fälschlicherweise unterstellt wurde. Wir überprüfen Serienfahrzeuge, die auf dem Markt verfügbar sind. Wir können nicht ins Werk bei Daimler in Sindelfingen und sagen, so jetzt wollen wir euren Diesel messen.

Wie wollen Sie die Fahrzeuge auswählen?

Hermann: Wir können das Auswahlverfahren nicht offenlegen, sonst könnten sich Hersteller eventuell darauf einstellen. Es gibt aber genügend betroffene Fahrzeugtypen, die bei Händlern stehen. Es geht um Dieselfahrzeuge, die auf dem Markt sind und die übrigens auch das Land besitzt. Wir haben selbst eine große Flotte.

Was tun sie, wenn die Messwerte weit auseinander klaffen?

Hermann: Im Moment haben wir wirklich glaubwürdige Ansagen, dass die Hersteller im Land nicht betrügen. Als Politiker habe ich aber eine doppelte Verantwortung: Auf der einen Seite dafür, dass es unserem Land gut geht und dass unsere Wirtschaft Produkte anbietet, die ehrlich sind und die Arbeitsplätze gesichert werden. Auf der anderen Seite habe ich Verantwortung gegenüber Verbrauchern und Kunden, dass sie nicht betrogen werden. Und ich habe in der Politik auch die Pflicht, nicht blauäugig und gläubig zu sein, sondern auch zu überprüfen, was mir gesagt wird. Den meisten in der Branche ist klar, dass es nicht hilft, wenn solche Tests ein G’schmäckle hätten. Deshalb gibt es keine Wohlfühltests, nur um die baden-württembergische Industrie zu schützen.

Ist das der Grund für den Alleingang Baden-Württembergs? Vertrauen Sie Ihrem Kollegen im Bund, Verkehrsminister Dobrindt nicht?

Hermann: Wir glauben, dass das Kraftfahrtbundesamt und der Bundesverkehrsminister zu lange geschlafen haben. Die Hinweise, dass da was nicht in Ordnung ist, gibt es ja schon länger. Der Bund hätte längst prüfen und messen können. Wir haben als Land eigentlich nicht die Aufgabe, solche Tests in Auftrag zu geben. Uns geht es darum, zu klären, dass die Autohersteller im Land keine betrügerische Software bei der Abgasreinigung eingesetzt haben. Die Wirtschaft wie auch die Autobesitzer brauchen zügig Klarheit. Darüber hinaus brauchen wir auch schnell in Brüssel eine Entscheidung, wie künftig neue Autos im Labor und im Feld unter realistischen Bedingungen getestet werden. Denn wir sind schon vor einiger Zeit auf Diskrepanzen gestoßen. Unsere Untersuchungsergebnisse haben wir dem Bund zur Verfügung gestellt.

Wurde darauf in Berlin reagiert?

Hermann: Nein. Wir haben deshalb auch schon Mitte des Jahres einen Beschlussvorschlag für die Verkehrsministerkonferenz eingereicht, die diese Woche in Worms darüber beraten wird. Darin wird gefordert, dass der Bund aufgrund der Ergebnisse in Baden-Württemberg schneller für neue Regelungen auf europäischer Ebene sorgt. Der Bund wird außerdem von der Verkehrsministerkonferenz beauftragt, eine Kraftfahrzeug-Positivliste zu erarbeiten, eine Liste der Fahrzeuge, die den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Mit dem Beschluss wollen wir auch erreichen, dass sich der Bund engagierter um diese Fragen kümmert. Als Standort von zwei wichtigen Automobilunternehmen kann Baden-Württemberg nicht warten, bis Herr Dobrindt von sich aus für Klarheit sorgt. Gegenwärtig herrscht doch bei vielen Menschen, die ein Auto kaufen wollen, totale Verunsicherung.

Was halten sie dann davon, dass ihr Koalitionspartner – Wirtschaftsminister Schmid und der SPD-Fraktionsvorsitzende Schmiedel – Ihnen sofort in den Rücken gefallen sind?

Hermann: Das kommentiere ich nicht weiter. Politik muss auch nachweisen, dass sie aufmerksam ist. Wir haben in Deutschland sicher nicht das Problem, dass die Politik bisher allzu kritisch hinguckt. Kunden erwarten, dass Recht und Gesetz gelten und dass nicht betrogen wird.

Und deshalb preschen Sie jetzt vor. . .

Hermann: Wir wollen die Bundesebene nicht ersetzen. Aber ab und zu muss man sie antreiben. Wir gehen schon lange strategisch die Frage an: Wie kommen wir zu einer besseren Luft? Wir haben auch die Verantwortung für Gesundheit der Menschen und müssen deswegen dafür sorgen, dass die Stickoxidwerte im Ballungsraum und anderswo zurückgehen.

Hat der Diesel demnach als Antriebsart ausgedient und ist das die Chance, die Elektromobilität zu puschen?

Hermann: Ich habe keine grundsätzliche Abneigung gegen Diesel, weil Dieselmotoren vergleichsweise energieeffizienter sind. Gerade für Baden-Württemberg und Deutschland ist der Dieselmotor wirtschaftspolitisch von zentraler Bedeutung. Daneben müssen wir alle, aber vor allem auch der Bund mehr für die Förderung der klimafreundlichen Elektromobilität tun.

Was ist mit Bussen und Nutzfahrzeugen. . .

Hermann: Wir klären jetzt erst einmal das Thema Pkw, werden uns aber auch Busse und Lkw näher anschauen. In jedem Fall müssen auch die Busse sauberer werden. Die Stuttgarter Straßenbahnen AG ist für uns als Land ein absolut wichtiger und guter Partner. Die SSB sind, wenn wir Innovationen machen, immer dabei und nutzen unsere Förderprogramme, ob Hybridbusse oder Brennstoffzelle. Wir müssen in Stuttgart alle Quellen von Feinstaub und Stickoxiden reduzieren. Und der ÖPNV ist teilweise halt auch eine.

Nochmals zurück zur allgemeinen Verunsicherung der Diesel-Fahrer: Wird diese Stimmung Sie Stimmen bei der Landtagswahl kosten?

Hermann: Da gibt es natürlich völlig unterschiedliche Interpretationen. Die einen sagen: Oh, die bösen Grünen. Die andern: Endlich passt mal einer auf. Ich definiere meinen Auftrag als Verantwortung. Die habe ich gegenüber den Menschen, die von Schadstoffen belastet sind, gegenüber Menschen, die ein Auto kaufen und gegenüber der Wirtschaft und der Sicherung von Arbeitsplätzen. Politik muss zwischen all dem die Balance finden. Wenn ich nur für ein Interesse arbeiten würde, müsste ich Lobbyist werden.

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Stuttgarter Nachrichten

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