Wie kann der Ländliche Raum in Baden-Württemberg gegenüber den Ballungsräumen dauerhaft gestärkt werden? Einerseits versucht die Landesregierung das mit Fördermitteln wie aus dem EU-„Leader“-Programm. Andererseits unterstützt sie Projekte wie die Initiative „Dunkle Wälder – Bunte Perspektiven“ in Baiersbronn (Kreis Freudenstadt). Die Schwarzwaldgemeinde widmet sich seit zwei Jahren – stellvertretend für viele ländliche Regionen im Südwesten – den Stärken und Schwächen auf dem Land und sucht nach Wegen, was für die Zukunft getan werden muss. Dabei erfährt sie nun Unterstützung von der Landesregierung.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann traf sich in dieser Woche mit prominenten Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Tourismus, Energie, Schulen und Genossenschaften, um über Ansatzpunkte zu diskutieren. Nach dem fast dreistündigen Gespräch im historischen Morlokhof in Baiersbronn war der Regierungschef voll des Lobes für die Initiative („Was Sie hier auf die Beine stellen, ist vorbildlich“) und betonte: „Ich nehme viele Anregungen mit, die wir nun prüfen werden.“
Der im Sigmaringer Stadtteil Laiz lebende Ministerpräsident bekannte sich klar zur Provinz: „Mir gefällt’s hier“, pflege er auf die oft gestellte Frage zu antworten, warum er nicht öfter in Berlin sei oder politisch gar ganz auf die große Bühne wechsle. Das Leben im Ländlichen Raum sei auch „eine Frage der persönlichen Haltung, dem Bekenntnis zu kulturellen Werten und Hintergründen“. Aber ohne Zweifel gebe es „viel zu tun“.
Die demografische Entwicklung, Landflucht, schrumpfende Schulklassen, der Facharbeitermangel, der nötige Ausbau der Infrastruktur, das alles seien „wichtige Herausforderungen“ für den Ländlichen Raum, so der Ministerpräsident. Er bezeichnet die bisherigen Diskussionsabende der Initiative „Dunkle Wälder – Bunte Perspektiven“ – stets besetzt mit einem Vertreter der Landesregierung und mit Fachleuten – daher als „wichtigen Beitrag“ zur aktuellen Debatte im Land: „Das sind sehr wertvolle, produktive und innovative Runden“, so Kretschmann.
Der thematische Bogen beim Besuch diese Woche in Baiersbronn war entsprechend breit gefächert. Er reichte vom ehemaligen Bühler Oberbürgermeister Hans Striebel angeregten, weiteren Ausbau von Bürger-Energiegenossenschaften, was Kretschmann unterstützt („Eine Energiewende ist nur dann erfolgreich und hat einen positiven Effekt, wenn sie ökonomisch ist und von den Bürgern mitgetragen wird.“) bis zum Fach Wirtschaft in den Schulen und einem verstärkten Austausch von Schülern, Lehrern und der freien Wirtschaft durch vermehrte Praktika. „Wir müssen das praktische Tun im Unterricht stärker fördern“, warb Juliane Vees, Präsidentin des LandFrauenverbandes Württemberg-Hohenzollern.
„Einen guten Vorschlag, den“ er prüfen wolle, lobte Kretschmann eine Anregung von Peter Stumpp, Leiter der Freudenstädter Heinrich-Schickhardt-Schule. Zur Sicherung von Berufsschulklassen und damit einzelnen Berufsbildern, wie Metzger oder Bäcker- und Konditormeister, sollten auf dem Land und zudem kreisübergreifend einzelne Schulen mit fachlichen Schwerpunkten geschaffen werden, die auch von Schülern aus den Ballungsräumen besucht werden.
Zuletzt war der Trend immer öfter zur beruflichen Bildungsreise von Schülern aus der Provinz in die Städte gegangen. Häufig kehrten die jungen Fachkräfte aber nicht mehr in den Ländlichen Raum zurück, wodurch das Berufsbild dort verschwinde, was es zu verhindern gelte. Interesse an solchen Pilotprojekten hatte zuletzt bereits Kultusminister Andreas Stoch signalisiert.
„Aus ihrer Perspektive nachvollziehbar“ nannte der Ministerpräsident das Vorhaben von Schulen und Firmen der Region Nordschwarzwald, ein Studienzentrum auf Masterebene zu gründen, um qualifizierte Fachkräfte für den Ländlichen Raum zu gewinnen. Dennoch zeigte er sich dieser Idee gegenüber zurückhaltend angesichts der angespannten Haushaltslage und der bereits bestehenden vielfältigen Hochschullandschaft in Baden-Württemberg.
Die Raumschaft bekräftigte dennoch ihre Idee. „Das wäre ein großer Leuchtturm“, unterstützte der Freudenstädter Landrat Klaus-Michael Rückert das Vorhaben ebenso wie Martin Keppler, IHK-Hauptgeschäftsführer aus Pforzheim. Letzterer verwies auf den hoch entwickelten Maschinenbau in der Region und prophezeite einem solchen Studienangebot im Ländlichen Raum eine „große Anziehungskraft“ für angehende Fachkräfte und ihre Familien.
Rückert wie Keppler betonten, es gebe die „große Bereitschaft“ aus der Wirtschaft, ein solches Projekt finanziell zu tragen, zum Beispiel durch Stiftungsprofessuren, um das Land finanziell nicht zu belasten. Es sei nun die Frage, wo und in welchen Örtlichkeiten man ein solches Studium ansiedeln könne. Die Befürworter waren sich einig, an der Raumfrage dürfe so etwas nicht scheitern. Eine Möglichkeit wären leer stehende frühere Polizeigebäude oder nicht mehr genutzte Kasernen.
Mit Blick auf den Stellenwert von renommierten Unternehmen wie Fischer, Homag, Schmalz und anderen Vorzeigefirmen im Schwarzwald appellierte Keppler zugleich an den Gast aus Stuttgart, in Sachen Ausbau der Infrastruktur nochmals alle Möglichkeiten zur Verbesserung zu prüfen. Es müsse „das Ziel bleiben, bei der Breitbandversorgung so viel als möglich zu tun und im Straßenverkehr die zentralen Achsen der Region auszubauen“, so Keppler.
Kretschmann mochte da nicht widersprechen („Da haben wir keinen Dissens“), die finanziellen Mittel gerade im Straßenbau seien aber begrenzt. Man dürfe den Blick aber nicht davor verschließen, dass sich der Großraum Stuttgart „zur Stauregion der Republik“ entwickelt habe. Da gelte es, weiter zu investieren und nach intelligenten Verkehrskonzepten zu suchen.
Als einen „interessanten Ansatz“ für die Regional- und Kommunalpolitik bezeichnete der Regierungschef die Anregung von Roman Glaser, Chef des Genossenschaftsverbandes Baden-Württemberg, die derzeitige Kapitalmarkt-Situation zur Gründung von Bürgergenossenschaften zu nutzen – zum Beispiel für den Erhalt von Arztpraxen, die Einrichtung weiterer Kindertagesstätten, die Breitbandversorgung, das Thema Pflege oder den Ausbau der E-Mobilität. Glaser wie Harald Rissel, Chef der Edeka-Gruppe Südwest, schlugen zudem vor, runde Tische mit Vertretern der Landwirtschaft, der Genossenschaften, des Tourismus, aber auch des Landkreistags und der Kommunen zu gründen, um nach einer Strategie für die Versorgung der Bürger mit regionalen Produkten zu suchen, wirtschaftlich rentable Dorfläden zu erhalten und damit die Nahversorgung der Menschen dauerhaft zu sichern. Kretschmann äußerte Sympathie für die Idee und versprach: „An diesem Tisch wird die Landesregierung gerne mit Rat und Tat vertreten sein.“
Quelle:
Baiersbronn Touristik