Interview

„Das gemeinsame Feindbild hält die Querfront zusammen“

Berechne Lesezeit
  • Teilen
Ein Teilnehmer der Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen trägt eine Flagge des Deutschen Reiches.

Im Interview mit der taz am Wochenende spricht der Beauftragte der Landesregierung gegen Antisemitismus Michael Blume über die Querdenken-Demos und warum sich auch hier immer wieder antisemitische Narrative wiederholen.

taz am wochenende: Herr Blume, am Wochenende soll es in Konstanz zur großen Demonstration der Coronaleugner kommen. Warum ballt sich gerade im Südwesten der Protest der sogenannten Querdenker?

Michael Blume: Knapp gesagt, trifft hier süddeutscher Platonismus auf norddeutschen Zentralismus. Wir haben in Süddeutschland eine lange Tradition von Obrigkeitsskepsis und Wissenschaftskritik. Das liegt zum einen an der evangelischen Strömung des Pietismus, der sagt, man muss die Wahrheit selbst überprüfen. Die meisten heute schauen dafür dann aber nicht mehr in die Bibel, sondern ins Internet. Und wir haben die Anthroposophie, die sagt, wir haben ein überzeitliches Wissen. Da soll man sich von den Wissenschaften nicht unbedingt reinreden lassen. Dazu kommt eine traditionelle Skepsis gegenüber Berlin. So war schon der König von Württemberg 1871 bei der Reichsgründung eigentlich dagegen, dass nun Württemberg unter einem preußischen Kaiser Teil des Deutschen Reichs wird. Dieses Gefühl der Fremdbestimmung, dass man in Berlin eh macht, was man will, das ist im Südwesten sehr stark.

Deshalb hat sich die Bewegung nun nach Süden an den Bodensee orientiert?

Blume: Ja, es ist so, dass wir hier kulturell und medial stärker an Österreich und die Schweiz gebunden sind. Es gibt die Vorwürfe an die Medien aus Berlin und Hamburg, dass sie nur auf die Menschen herunterschauen. Dagegen verklärt man die direkte Demokratie in der Schweiz oder einen Kanzler wie Sebastian Kurz. Dazu passt auch, dass Baden-Württemberg im Moment in der Bundesregierung keinen Minister stellt. Das verstärkt das Gefühl, man werde in Berlin nicht mehr gehört.

Im Ernst? Danach dürfte es kein Pegida geben, denn die Ostdeutschen können sich mit einer Kanzlerin aus Mecklenburg-Vorpommern bestens repräsentiert fühlen.

Blume: Ich sehe auch bei Pegida, dass wir es weniger mit einem Ressentiment Ost-West zu tun haben, sondern längst mit Nord-Süd. Auch Sachsen hat in seiner Geschichte immer eher nach Süden tendiert und sich gegen Preußen abgegrenzt. Wir erleben da eine Glokalisierung. Die Menschen reagieren auf die Globalisierung, indem sie sich auf ihre eigenen Bezugspunkte zurückziehen. Geografisch, aber auch indem sie ihre eigenen Medien nutzen.

Das ist kein rein deutsches Phänomen.

Blume: Nein, wir sehen das gerade in allen großen Demokratien. Adorno sprach davon, dass der Faschismus sich da organisiert, wo die Menschen das Gefühl haben, sie leben in der Provinz. In Deutschland haben wir da ja noch Glück, denn es ist bei uns bisher keine Mehrheitsbewegung.

„Antisemitismus bildet beim Verschwörungsglauben immer die Spitze“

Wie gefährlich ist es denn nun, wenn Zehntausende in Berlin Putin und Trump huldigen und man den Reichstag stürmen will?

Blume: Ich sage immer wieder, dass es die Antisemiten diesmal nicht schaffen werden, unsere Demokratie zu vernichten. Aber Populisten waren immer stark darin, die Gefühle von Menschen auszubeuten. Ich sehe keine Gefahr für den Bestand der Republik, aber ich sehe es als eine Problemanzeige.

Sind denn die selbsternannten Querdenker automatisch Antisemiten?

Blume: Der Antisemitismus bildet beim Verschwörungsglauben immer die Spitze, weil alles darauf hinausläuft, dass Juden die Weltverschwörer sind. Bei Querdenkern war das von Anfang an sehr stark. Michael Ballweg hat zu seiner ersten großen Demonstration den Antisemiten Ken Jebsen eingeladen. Sein Pressesprecher ist in der Reichsbürgerszene aktiv. Dazu kommt das Bekenntnis zur QAnon-Bewegung, die die Erzählung verbreitet, eine Elite, zu der natürlich auch Juden gehören, halte sich durch die Körperzellen von Kindern jung. Das ist nur die etwas modernisierte Fassung von antisemitischen Mythen aus dem Mittelalter.

„Der Antisemitismus war nie weg“

Warum haben diese Mythen gerade jetzt so eine große Konjunktur?

Blume: Auch durch die Digitalisierung. Immer wenn neue Medien in die Welt kommen, erleben wir solche Umbrüche. Mit der Verbreitung des Buchdrucks hatten wir die Ausbreitung des Hexenglaubens. Radio und Film wurden von Nazis und Ku-Klux-Klan genutzt. Der andere Faktor sind die Krisen, die wir derzeit erleben. Wirtschaftskrise, Flüchtlingskrise und jetzt die Pandemie. Wenn man sieht, dass da bei uns beides zusammenkommt, können wir eigentlich sehr froh sein, dass über 90 Prozent der Menschen sehr vernünftig sind und nur eine kleine, aber laute Minderheit wettert.

Wo waren diese Verschwörungsgläubigen denn früher? Oder sind das alles ehemals vernünftige Menschen, die sich unter dem Eindruck dieser Krisen aus dem normalen Diskurs verabschiedet haben?

Blume: Es gab diese Mythen immer, gerade der Antisemitismus war nie weg. Autoritäre Persönlichkeiten, die glauben, dass die Welt ein böser Ort ist, in dem man sich nur mit Gewalt schützen kann, sind anfällig für Verschwörungsglauben. Man darf übrigens nicht vergessen, dass die Initiatoren damit auch Geld verdienen. Die Menschen werden um Spenden angehauen, sie sollen Abos abschließen, sie sollen Produkte kaufen. Selbst wenn diese Bewegung nicht so erfolgreich ist wie früher, so ist es zumindest noch ein Geschäftsmodell. Die Anbieter sind nicht dumm, sondern sie setzen darauf, dass ihre Anhängerschaft leicht zu täuschen ist.

Wie geht man mit Menschen um, die an diese Verschwörungsmythen glauben?

Blume: Man muss sich klar machen, dass das ein Glaubenssystem ist. Es hat eher Charaktereigenschaften einer Sekte. Verschwörungsgläubige ziehen sich in eine parallele Realität zurück, sie glauben anders als in Religionen an die Weltherrschaft böser Mächte. Da kann man am Anfang noch etwas tun. Aber wenn jemand so tief drinsteckt, dass man nicht mehr mit ihm reden kann, dann muss man auch den Mut haben zu sagen, ich höre mir das nicht länger an. Es war ja schon ein großer Fehler, dass man Pegida nachgelaufen ist. Gegen erwachsene Menschen, die sich in Hass verrannt haben, darf man sich auch abgrenzen.

„Auch hochintelligente Menschen können abdriften“

Also eher ein Fall für die Therapie.

Blume: Ja genau. Wer längere Zeit in so einem Verschwörungsglauben drin war, kommt nur noch ganz schwer heraus. Auch da haben wir in Baden-Württemberg mit dem Philosophen Martin Heidegger ein leider berühmtes Beispiel. Ein weltweit verehrter Philosoph, hoch gebildet, hatte jüdische Lehrer und mit Hannah Arendt eine jüdische Geliebte. Trotzdem war er glühender Antisemit und hat es nach dem Krieg nicht mehr geschafft, aus diesem Verschwörungsglauben herauszufinden. Man darf heute auch nicht glauben, dass das alles „Covidioten“ seien. In einen Verschwörungsglauben können auch hochintelligente Menschen abdriften.

Wenn man Xavier Naidoo oder Attila Hildmann sieht, könnte man annehmen, da hat jemand zu viele Drogen genommen.

Blume: Man darf nicht den Fehler machen, alle als geisteskrank abzustempeln. Aber ja, bestehende psychische Probleme können durch Verschwörungsmythen noch verstärkt werden.

Und was sollte die Politik tun?

Blume: Der Staat sollte auf alle Fälle wehrhaft sein. In Stuttgart wurde gerade jemand, der in der ganzen Stadt „Merkel ist Jüdin“-Schmierereien angefertigt hat, sehr schnell ermittelt und festgenommen. Ich würde mir wünschen, dass man auch gegen Leute wie Attila Hildmann, der andere beleidigt und bedroht, klarer vorgeht. Einfach deshalb, weil diese Menschen autoritär denken. Die empfinden Freundlichkeit und Zuwendung als Bestätigung. Kuschelpädagogik bringt an dieser Stelle nichts.

Im dauerhaften Erregungszustand

Und warum landen Menschen aus einem offenkundig grünen und anscheinend progressiven Milieu in dieser Bewegung?

Blume: Antisemitismus bildet da eine Querfront für eine Bewegung, die nur durch ein gemeinsames Feindbild verbunden sind, nicht durch eine positive Vision. Da gibt es einen frühen Vorläufer, den Anarchisten Michail Bakunin im 19. Jahrhundert. Er gehörte zu den Ersten, die Marxisten und die Bankiersfamilie Rothschild gemeinsam für eine jüdische Weltverschwörung verantwortlich gemacht haben. Dieser Glaube an die eine große Verschwörung aller Demokratien, an der heute noch Gates und Soros beteiligt seien, ist bei Rechtsextremen, aber auch im linken und libertären Milieu attraktiv. Dann stehen diese Menschen plötzlich beieinander und bilden eine Querfront, die nur durch das gemeinsame Feindbild zusammengehalten wird.

Für Deutschland ist diese Querfront aber schon ein neues Phänomen.

Blume: Es gelingt, diese Mischung digital zu mobilisieren, weil die Menschen über soziale Medien dauerhaft in einen Erregungszustand versetzt werden. Über Telegram und Twitter werden sie täglich mit neuen Nachrichten versorgt. Es gibt auch immer neue Endzeittermine. Am 1. September hätte ja mal wieder die Demokratie untergehen sollen. Die Menschen werden in einen solchen Erregungszustand versetzt, dass sie nicht merken, was da nicht stimmt, und es völlig normal finden, auch unter einer Reichsbürgerflagge mitzulaufen.

Die Fragen stellte Benno Stieber von der taz.

Dr. Michael Blume ist der Antisemitismusbeauftragte der Landesregierung. Der Antisemitismusbeauftragte ist Ansprechpartner für die Belange jüdischer Gruppen, aber auch für den Landtag, für Kommunen, Kirchen- und Moscheegemeinden sowie Bildungseinrichtungen.

Was ist dran an Mythen zum Coronavirus?

Der schmale Grat zwischen Fakt und Fiktion

Bundeszentrale für politische Bildung: Informationen rund um Verschwörungsmythen

SWR: Beratungsangebot der Landeskirche Verschwörungstheorien: Was tun, wenn Argumente nicht mehr gehört werden?

Correctiv.org: Unabhängie Faktenchecker

Quelle:

Das Interview erschien am 2. Oktober 2020 in der taz. Alle Rechte vorbehalten. © die tageszeitung

Weitere Meldungen

Ein Baufahrzeug hobelt auf der Salierbrücke in Speyer den Asphalt ab. Die Brücke, eine wichtige Verkehrsverbindung zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, ist wegen Modernisierungsarbeiten für mehr als zwei Jahre gesperrt.
Verkehrsinfrastruktur

Land erneuert 31 Brücken mit einem Auftrag

Gruppenbild anlässlich der Abschlusskonferenz zum Strategiedialog Landwirtschaft
Strategiedialog Landwirtschaft

Gesellschaftsvertrag zur Zukunft der Landwirtschaft

Ein Stethoskop liegt auf Unterlagen mit Schaubildern.
Gesundheit

Regionale Gesundheitsversorgung aus einem Guss

AMAHORO! trifft Faire Woche –  40 Jahre Partnerschaft zwischen Baden-Württemberg und Burundi
Internationale Beziehungen

40 Jahre Partnerschaft mit Burundi

Bunter Löwenumriss neben Jahreszahl 2025
Integration

Startschuss für zweiten Integrationspreis des Landes

Flaggen
Gedenken

Jahrestag des terroristischen Angriffs auf Israel

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (links) und der stellvertretende von Molda Premierminister Dumitru Alaiba (rechts) unterzeichnen eine Absichterklärung.
Delegationsreise

Kretschmann besucht Republik Moldau

Prof. Dr. Stephan Dabbert
Hochschulen

Prof. Dr. Stephan Dabbert verstorben

Polizei Baden-Württemberg: WhatsApp und Mastodon
Polizei

Polizei startet neue Kommunikationskanäle

Polizei mit BW-Wappen
Polizei

930 Studierende an der Hoch­schule für Polizei begrüßt

Amtschef Reiner Moser und Renato Gigliotti
Polizei

Neuer Polizeivizepräsident in Mannheim

Verkehrspräventionspreis 2024
Verkehr

Erste Verkehrssicherheits­konferenz im Land

Ein Ausbilder erklärt in einem Techniklabor jugendlichen Auszubildenden etwas.
Ausbildung

Praktikumswochen starten am 14. Oktober 2024

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (links) mit Rumäniens Premierminister Ion-Marcel Ciolacu (rechts)
Europa

Kretschmann auf Delegationsreise im Donauraum

Eine bronzene Figur der Justitia.
Migration

Länderübergreifende Bezahlkarte kommt