Die äußerst praxisrelevanten Regelungen der neuen Europäischen Erbrechtsverordnung sind den Bürgerinnen und Bürgern vielfach noch nicht hinreichend bekannt. Hierauf hat Justizminister Rainer Stickelberger bei einer rechtspolitischen Tagung der Evangelischen Akademie in Kooperation mit dem Bund Deutscher Rechtspfleger hingewiesen. Seit dem 17. August dieses Jahres findet die Verordnung in den meisten EU-Mitgliedsstaaten Anwendung. Sie regelt für Erbfälle mit Auslandsberührung unter anderem, welches nationale Erbrecht anzuwenden ist und welches Gericht für Entscheidungen in Erbsachen international zuständig ist.
„Die Europäische Erbrechtsverordnung ist von enormer praktischer Relevanz. In Erbfällen mit internationalen Bezügen kann sie schnell zu Ergebnissen führen, deren sich die betroffenen Bürgerinnen und Bürger nicht immer hinreichend bewusst sind“, sagte Justizminister Stickelberger. Als Beispiel nannte er die Fälle deutscher Staatsangehöriger, die im europäischen Ausland leben, etwa weil sie dort beruflich tätig sind oder ihren Ruhestand verbringen. „Hat beispielsweise der in Spanien lebende Deutsche zu Lebzeiten keine Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts getroffen, findet nach seinem Tod grundsätzlich das spanische Erbrecht Anwendung. Außerdem sind dann die spanischen Gerichte in der Regel für sämtliche gerichtlichen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Erbfall zuständig“, erläuterte Minister Stickelberger.
Da sich das ausländische Erbrecht nicht selten deutlich von den deutschen Regelungen unterscheide, könne dies mitunter zu unliebsamen Überraschungen führen, so Stickelberger. Als Beispiel nannte er die in Deutschland weit verbreiteten gemeinschaftlichen Testamente von Ehegatten. „Viele deutsche Eheleute setzen sich in einem handschriftlichen gemeinschaftlichen Testament wechselseitig zu Erben und die Kinder zu Erben des länger lebenden Ehegatten ein. Die romanischen Rechtsordnungen etwa in Italien oder Spanien dagegen lassen ein Testament von zwei Personen in derselben Urkunde nicht zu. Ein solches handschriftliches Testament kann danach unwirksam sein“, so der Minister. Stickelberger wies in diesem Zusammenhang auf die in der Europäischen Erbrechtsverordnung vorgesehene Möglichkeit hin, im Testament oder Erbvertrag ausdrücklich die Anwendung deutschen Erbrechts zu bestimmen. „Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt im europäischen Ausland haben, können – wenn sie möchten – durch eine solche Rechtswahl sicherstellen, dass im Erbfall ihr Heimatrecht Anwendung findet“, so der Minister.
Stickelberger würdigte in seiner Ansprache die Arbeit der Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, an die sich die Fachtagung richtete. „Die Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger erledigen tagtäglich selbständig und eigenverantwortlich auch in kritischen Situationen hochanspruchsvolle und ungemein wichtige Aufgaben. Für diesen Einsatz danke ich Ihnen herzlich“, sagte der Minister.