Klimaschutz

Land gibt mehr Geld für Energiewende

Umweltminister Franz Untersteller

Die Zeit drängt: Bis 2022 soll Neckarwestheim II, das letzte Atomkraftwerk im Land, vom Netz gehen. Umweltminister Franz Untersteller drückt deshalb aufs Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien, wie er im Interview mit der Stuttgarter Zeitung deutlich macht.

Stuttgarter Zeitung: Herr Untersteller, wenn Sie sich in der Adventszeit einen neuen Chef der EnBW backen könnten, welche Zutaten stünden auf Ihrer Einkaufsliste?

Franz Untersteller: Den backe ich mir nicht. Der wird von dem dafür zuständigen Aufsichtsrat der EnBW ausgesucht. Klar ist: der neue Chef muss den Konzern in einer sich verändernden Energiewelt in eine gute Zukunft führen. Es geht hier um den drittgrößten Energierversorger in Deutschland, es geht um 20.000 Arbeitsplätze.

Stuttgarter Zeitung: Welche Pläne verfolgt das Land mit der EnBW?

Franz Untersteller: Ich glaube, eines ist klar geworden inzwischen: Wir wollen die EnBW weder zerschlagen noch wollen wir sie verhungern lassen. Wir haben uns die Aufgabe nicht ausgesucht, aber gemeinsam mit den OEW (den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken), der bald neu aufgestellten Unternehmensspitze und den Mitarbeitern wollen wir jetzt aus der EnBW einen modernen, ab 2022 atomstromfreien und wettbewerbsfähigen Energieversorger machen. Daran arbeiten wir.

Stuttgarter Zeitung: Welche strategische Chance bietet sich Ihnen damit, die Energiewende im Land zu forcieren?

Franz Untersteller: Unser Ziel ist es, die erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren massiv auszubauen - auf einen Anteil von etwa 35 Prozent bei der Bruttostromerzeugung bis 2020. Hierbei spielt die EnBW eine sehr wichtige Rolle, neben den Stadtwerken, neben den regionalen Energieversorgern. Ich habe den Eindruck, dass die EnBW bereit ist, diese Chance zu nutzen.

Stuttgarter Zeitung: Welche Rolle kommt den Stadtwerken zu?

Franz Untersteller: Die EnBW und die Stadtwerke sind hier beide wichtig. Es geht darum, dezentral so viel wie möglich an Potenzial zu heben. Wir brauchen neue Kapazitäten als sogenannte Backup-Kraftwerke. Gerade hier ist die EnBW mit ihrem Knowhow gefordert.

Stuttgarter Zeitung: Meinen Sie Kohle- und Gaskraftwerke?

Franz Untersteller: Kohlekraftwerke wird es in Deutschland keine neuen mehr geben. Das Problem ist aber, dass sich der Bau neuer Gaskraftwerke derzeit nicht rechnet: Je mehr Strom von den Erneuerbaren erzeugt wird, desto geringer werden die Laufzeiten in den Kraftwerken. Weder EnBW noch Stadtwerke investieren deshalb. Es braucht also einen ökonomischen Anreiz für den Bau solcher Backup-Kraftwerke. Daran arbeite ich schon seit Monaten.

Stuttgarter Zeitung: Wollen Sie Kraftwerke subventionieren?

Franz Untersteller: Es gibt Überlegungen zu einer Art regionalem Kapazitätsmarkt. Das heißt vereinfacht, wir bieten Anreize für das Bereitstellen von Produktionskapazitäten, so dass nicht mehr nur der Verkauf von Strom eine bezahlte Leistung ist. Dieser Bedarf, sagen wir von zwei- bis dreitausend Megawatt, soll dann europaweit ausgeschrieben werden. In der Ausschreibung können Anforderungen gestellt werden, etwa an die CO2-Emission oder an den Wirkungsgrad. Damit ist auch klar, welche Technologie infrage kommt und welche nicht.

Stuttgarter Zeitung: Also keine Atomkraft aus Tschechien?

Franz Untersteller: Nein.

Stuttgarter Zeitung: Wie soll in nur zehn Jahren bis 2022 der 50-Prozent Anteil der Atomkraft an der Stromerzeugung im Land ersetzt werden?

Franz Untersteller: Wir haben schon heute keine 50 Prozent mehr, seit Philippsburg I und Neckarwestheim I abgeschaltet sind, der Atomstrom liegt zurzeit schon deutlich darunter, bei rund 35 Prozent, schätze ich. Jetzt gilt es, die Erneuerbaren Energien kräftig auszubauen. Dennoch muss das Land in Zukunft Strom importieren, insbesondere Offshore-Strom von Windkraftanlagen in der Nord- und Ostsee. Deshalb ist der Ausbau der Netze von Nord nach Süd eines der wichtigen Themen neben dem Ausbau der Speicherkapazität.

Stuttgarter Zeitung: Bleibt bei einem solch forcierten Ausbau nicht die Bürgerbeteiligung auf der Strecke?

Franz Untersteller: Im Gegenteil. Künftig sollen Bürger sehr frühzeitig, also noch vor der Einleitung förmlicher Verfahren, beteiligt werden. Den Bürgern sollen Pläne erläutert, mit ihnen über Lösungswege diskutiert werden. Letztendlich ist dies wohl der zeitsparendere Weg, der so manchen Gang vor Gericht vermeiden kann

Stuttgarter Zeitung: Die Proteste gegen Windräder und Pumpspeicher können Sie doch nicht wegdiskutieren. Vermissen Sie nicht die Unterstützung der Bevölkerung bei der Energiewende, zumal doch die Mehrzahl gegen Atomkraft ist?

Franz Untersteller: Ich habe aus vielen Gesprächen den Eindruck, dass nach der Atomkatastrophe in Fukushima und dem Beschluss der Bundesregierung, 20.000 Megawatt-Kernkraftwerksleistung stillzulegen, den Menschen klar ist: Wenn ich irgendwo aussteige, muss ich woanders einsteigen. In den touristischen Gemeinden Glottertal und Münstertal haben sich die Menschen bei Bürgerbefragungen für den Bau von Windrädern ausgesprochen. Das sind positive Beispiele, die im Schwarzwald früher undenkbar gewesen wären. Auch die Umweltverbände, traditionell dem Naturschutz verpflichtet, sind inzwischen sehr konstruktiv.

Stuttgarter Zeitung: Stellt die Bundesregierung die Weichen richtig für die Energiewende?

Franz Untersteller: Teils, teils. So ist grundsätzlich nichts einzuwenden gegen die Novellierung des Erneuerbaren Energiengesetzes (EEG). Sollte sich aber der Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) mit seiner Idee durchsetzen, die Förderung der Fotovoltaik auf 1.000 Megawatt bundesweit jährlich zu begrenzen, wäre dies das Ende des Ausbaus der Solarstromerzeugung in Deutschland. Allein in Baden-Württemberg etwa wurde in 2010 eine Fotovoltaikleistung von 1.000 Megawatt installiert. Deshalb kämpfe ich massiv gegen die Rösler-Idee.

Stuttgarter Zeitung: Den Plan der Bundesregierung, eine Steuerabschreibung bei der Wärmedämmung zu ermöglichen, blockieren die Länder.

Franz Untersteller: Das Thema hängt derzeit im Vermittlungsausschuss. So ist im Grundsatz zwar positiv, dass die Bundesregierung eine steuerliche Abschreibungsmöglichkeit von zehn Prozent bei der energetischen Sanierung ermöglichen will. Die Begeisterung bei uns hält sich aber deshalb in Grenzen, weil der Bund die Hauptlast auf die Länder abwälzen will. Jetzt wird verhandelt, wer welchen Anteil tragen soll. Für einen Fehler halte ich den Vorschlag, eine Abschreibung nur bei einer Komplettsanierung vorzusehen. Weil dann Leute mit kleinem Geldbeutel, die sich eine Sanierung nur schrittweise leisten können, benachteiligt werden. Dagegen geht das Land vor. Ich werde mit Bundesratsminister Peter Friedrich (SPD) einen Vorschlag im Vermittlungsausschuss einbringen. Zeitnah, möglichst noch im Dezember, sollte eine Lösung gefunden werden. Es gibt einen Sanierungsstau, die Menschen warten auf eine Entscheidung.

Stuttgarter Zeitung: Welches sind die wichtigsten Projekte für die Energiewende im Land?

Franz Untersteller: Anfang Januar bringen wir die Novelle des Landesplanungsgesetzes in den Landtag ein. Das ist die neue rechtliche Grundlage für den verstärkten Ausbau der Windenergie. Das Ziel sind zehn Prozent Windstrom an der jährlichen Bruttostromerzeugung im Land bis 2020; das erfordert 100 bis 120 Windräder der Drei-Megawatt-Klasse pro Jahr. Zweitens soll die energetische Sanierung im Land forciert werden. Drittens geht es um eine bessere Nutzung der Biomasse, insbesondere der energetischen Reststoffverwertung von Bioabfall (400.000 Tonnen jährlich) und Grünschnitt (800.000 Tonnen). Weitere Baustellen sind die Energieeffizienz und die Energieeinsparung: im privaten Bereich, in der Industrie und in mittelständischen Unternehmen. Gerade zum Thema Energieeffizienz in der Wirtschaft wird es nächstes Jahr neue Initiativen und Förderprogramme geben. Deutlich aufgestockt werden die Mittel im Förderprogramm für Kommunen Klimaschutz Plus. Als Oppositionspolitiker hatte ich stets kritisiert, dass nur ein paar Monate Geld im Topf war und viele Kommunen leer ausgingen. Ich kann noch keine Zahl nennen, aber ich werde 2012 erheblich mehr Mittel zur Verfügung haben für das Thema Energiewende .


Das Interview führte Andrea Koch-Widmann.

Quelle:

Stuttgarter Zeitung

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