Europa

Friedrich im Interview zur Jugendarbeitslosigkeit in Europa

Peter Friedrich - Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten

Im Interview mit dem Deutschlandfunk spricht Europaminister Peter Friedrich zum Thema „Jugendarbeitslosigkeit in Europa“.

Deutschlandfunk: Die Zahlen scheinen für sich zu sprechen: 56 % Arbeitslose unter den 15- bis 24-Jährigen in Spanien. 42 % in Portugal, 40 % in Italien, fast 60 % in Griechenland. Um gegenzusteuern wollen die europäischen Staats- und Regierungschefs 6 Milliarden Euro ausgeben. Herzstück des Sonderprogrammes ist die sogenannte „Jugendgarantie“. Diese besagt, dass junge Leute innerhalb von 4 Monaten entweder Arbeit, einen Praktikumsplatz oder einen Weiterbildungsplatz bekommen. „Klingt gut!“, sagt so mancher Fachmann für Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, „packt aber die Probleme nicht an der Wurzel; zumal noch unklar ist, wofür das Geld genau ausgegeben werden soll.“ Herr Friedrich, ist das 6 Milliarden Programm der EU der große Wurf oder am Ende doch eine Mogelpackung?

Peter Friedrich: Ich glaube weder noch. Es ist kein großer Wurf, weil es keine strukturellen Fragen löst. Aber eine Mogelpackung ist es auch nicht, weil es zumindest gut ist, dass ein Zeichen gesetzt wird. Damit es mehr wird als nur ein Zeichen, muss man aber auch strukturelle Fragen angehen und nicht einfach mit Geld winken.

Aber mit Geld wird derzeit für diese „Jugendgarantie“ gewunken. Ist das im Wesentlichen weiße Salbe?

Friedrich: Für jeden Jugendlichen der dadurch eine Chance bekommt, ist das Programm gut und den Aufwand wert. Aber es ist schon auffällig, dass jetzt Gelder umgewidmet werden, die ja auch sonst eigentlich für Maßnahmen für den Arbeitsmarkt und Sozialfonds in der Europäischen Union zur Verfügung stehen sollten. Dass dieses Geld jetzt auf eine Gruppe konzentriert werden soll, ist zunächst richtig, da wir dort das größte Problem haben. Aber es löst natürlich keinerlei strukturelle Probleme und deswegen finde ich den Titel „Jobgarantie“ ehrlich gesagt ein bisschen anmaßend. Ich fürchte man produziert nur viele neue Enttäuschungen und löst nicht wirklich strukturelle Probleme, die es an der Arbeitsmärkten in Europa gibt.

Sie haben eben gesagt, dass es richtig ist, die Mittel zunächst mal auf die jungen Leute zu konzentrieren. Was unterscheidet eigentlich deren Arbeitslosigkeit von der Arbeitslosigkeit beispielsweise einer alleinerziehenden Mutter oder eines Älteren mit Familie, die er mit seinem Job ernähren möchte?

Friedrich: Zunächst unterscheidet es sich dadurch, dass diese Gruppe der jungen Menschen am stärksten von Arbeitslosigkeit in Europa betroffen ist. Das ist anders als in Deutschland oder in Baden-Württemberg, wo wir eine geringe Jugendarbeitslosigkeit haben. Aber in Gesamteuropa ist es natürlich so, dass der Hälfte einer ganzen Generation der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt wird.

Das führt natürlich zu enormen Fragen, gerade wenn Jugendliche in der Ausbildung oder Berufsfindungsphase sind und gar keine Chance haben, irgendwie tätig zu werden. Das führt zu einer totalen Entwertung des persönlichen Lebens dieser Jugendlichen. Dort haben wir die größten Probleme. Man sollte sich darauf konzentrieren, dass Jugendliche erst mal den Weg in eine ordentliche Beschäftigung hinein finden, weil dies dann zumindest eine Basis darstellt, von der ausgehend man dann auch versuchen kann, sich selber weiter zu entwickeln. Diese Basis muss erst mal gelegt werden. Wenn sie nicht da ist, zeigt sich, dass junge Menschen, die von Beginn an arbeitslos sind, oftmals im ganzen Leben nicht richtig in der Berufswelt Fuß fassen.

Sie hatten gesagt, dass es auch strukturelle Probleme gibt. Ich vermute Sie meinen damit die Organisation von Arbeitsmarkt und Bildungssystem. Ist dieses Programm zunächst einmal darauf ausgelegt, etwas Zeit zu kaufen, um Strukturreformen für die am stärksten betroffenen Länder zu entwickeln?

Friedrich: Schön wäre es! Man muss erst abwarten, wofür das Geld genau verwendet wird.

Was würden Sie denn mit den ungefähr 1000 Euro machen, die pro Betroffenen zur Verfügung stehen?

Friedrich: Ich würde gar nicht den einzelnen Betroffenen betrachten, sondern schauen, wie wir Systeme der Berufsausbildung etablieren und die Wirtschaft und die staatlichen Bildungseinrichtungen so aufeinander abstimmen können, dass Übergänge von Schule in Ausbildung und Beruf etabliert werden. Wir haben in vielen Ländern Europas die Schwierigkeit, dass es entweder gar keine Ausbildung gibt, oder nur eine staatlich akademische Ausbildung, die dann auch häufig an den Bedürfnissen vorbei geht. Unternehmen aus Baden-Württemberg, die in Süd- oder Osteuropa investiert haben, klagen auch über einen Fachkräftemangel, obwohl es dort eine hohe Jugendarbeitslosigkeit gibt. Das zeigt, dass ein bestimmtes Spektrum an Qualifikationen fehlt, wie zum Beispiel die klassischen Facharbeiter. Um diese Lücke zu schließen, würde ich gerne die Hilfe der deutschen Bundesländer anbieten, da diese mit der Thematik Erfahrung haben und auch die Mittel des EU-Programms verwenden. Diese Brücken in die Berufswelt zu entwickeln braucht aber einen langen Atem und nicht nur eine Anschubfinanzierung von 2 Jahren. Ausbildungssysteme, Ausbilder und staatliche Schulen müssen über Jahre entsprechend umgebaut werden, um ein solches System zu entwickeln, wie wir es bei uns über viele Jahrzehnte erfolgreich entwickelt haben.

Wurden sie beispielsweise aus Spanien um Hilfe gebeten?

Friedrich: Wir haben Kontakt mit verschiedenen Staaten Europas. Baden-Württemberg hat eine lange Tradition in Regionalpartnerschaften, mit beispielsweise Katalonien in Spanien oder der Lombardei in Italien. Wir haben vorletzte Woche eine Übereinkunft mit Rumänien zum Aufbau beruflicher Ausbildungen beschlossen, wobei wir ein Stück weit auch der baden-württembergischen Industrie hinterher ziehen. Die Industrie ist nämlich bereit, in den entsprechenden Regionen Ausbildungsstrukturen mit zu schaffen, weil sie eben keine Facharbeiter finden. Also ja, wir haben direkten Kontakt zu anderen Ländern. Allerdings fehlt enger Kontakt zur eigenen Bundesregierung. Wir hätten uns sehr gewünscht, dass die Bundesländer in die Gipfel auf europäischer Ebene mit einbezogen werden, weil wir die praktische Erfahrung im Bereich der Ausbildung und der Beschäftigungsprogramme für junge Menschen ja haben. Die Bundesregierung verhandelt, bezieht diejenigen, die Experten sind, aber aus unserer Sicht nicht mit ein.

Und am Ende läuft es darauf hinaus, dass erst dann neue Arbeitsplätze entstehen, wenn die Wirtschaft in Ländern wie Spanien und Griechenland wieder in Fahrt kommt.

Friedrich: Das ist ein typisches Henne und Ei Problem. Solange die Menschen keine Beschäftigung haben und es somit keine Binnennachfrage gibt, wird es die Wirtschaft schwer haben, wieder anzuziehen. Die Bundesregierung muss ihren Grundsatz „Wachsen kommt von Kürzen von Haushalten“ über Bord werfen. Wir brauchen europäische Investitionsprogramme in Infrastruktur, Innovation und Forschung. Der europäische Haushalt, den die Bundesregierung verhandelt, zeigt einen deutlichen strukturkonservativen Ansatz mit wenigen Zukunftsinvestitionen. Wachstum kommt von Investieren, da fehlen aus meiner Sicht noch die entsprechenden Programme.

Wie groß sehen sie denn die Gefahr, dass dieses Geld am Ende schlimmstenfalls versickert?

Friedrich: Die Gefahr ist natürlich real gegeben. Wenn ich sehe, dass in Spanien überlegt wird, mit den Geldern Unternehmenssteuern zu reduzieren, dann scheint mir alles noch zu unkoordiniert zu sein. Deshalb besteht durchaus die Gefahr, dass Euphorie schnell in Ernüchterung umschlägt. Deshalb warne ich auch vor zu übertriebenen Erwartungen an dieses Programm und halte den Titel „Jobgarantie“ für überzogen. Man kann mit Sozialpolitik durchaus etwas bewirken, aber es geht nicht über Nacht sondern nur durch langfristige strukturelle Reformen.

Quelle:

Deutschlandfunk

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