Gesundheit

Kabinett beschließt Neuregelung der medizinischen Zwangsbehandlung

Eine medizinische Zwangsbehandlung psychisch kranker Menschen soll in Baden-Württemberg künftig wieder möglich sein, aber nur in Ausnahmefällen und nur unter Einhaltung strengster Voraussetzungen. Einen entsprechenden Entwurf des Sozialministeriums zur Änderung des Unterbringungsgesetzes des Landes (UBG) hat das Kabinett am Vormittag beschlossen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Sozialministerin Katrin Altpeter: „Zwangsmedikation ist ein tiefer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Patienten. Deshalb darf sie nur in engen Grenzen und unter Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben durchgeführt werden.“ Ein völliger Verzicht auf jegliche Zwangsmedikation würde nach Ansicht von Altpeter die Psychiatrie zurückwerfen in die Zeit der reinen Verwahranstalten. „Die Zwangsbehandlung in der Psychiatrie soll die Betroffenen wieder befähigen, zu erkennen, dass eine Behandlung ihrer Krankheit notwendig ist und – wo immer möglich – ihre Rückkehr ins häusliche Leben ermöglichen." 

Mit Beschluss vom 12. Oktober 2011 hatte das Bundesverfassungsgericht die bisherige Grundlage für Zwangsbehandlungen untergebrachter Personen in Baden-Württemberg im Unterbringungsgesetz (UBG) für verfassungswidrig erklärt. Mit der Neuregelung soll nun Rechtsklarheit für alle Beteiligten geschaffen werden.

Die Voraussetzungen für die medizinische Zwangsbehandlung

Sozialministerin Katrin Altpeter unterstrich, dass die Neuregelung des UBG alle Voraussetzungen erfülle, die das Bundesverfassungsgericht für die Zulässigkeit einer Zwangsmedikation aufgestellt hat. Eine Zwangsbehandlung von Patienten im Maßregelvollzug oder in einer psychiatrischen Einrichtung kann in Baden-Württemberg künftig nur noch in Ausnahmefällen stattfinden,

wenn die untergebrachte Person krankheitsbedingt zur Einsicht in ihre Krankheit bzw. in deren Behandlungsbedürftigkeit nicht in der Lage ist

  • und
    die Gefahr der Selbstgefährdung der untergebrachten Person besteht
  • oder
    ihr durch die Behandlung ermöglicht werden soll, in Zukunft ein möglichst  selbstbestimmtes Leben in Freiheit zu führen

oder

wenn eine Gefahr für Leben oder Gesundheit dritter Personen abgewendet werden muss.

Voraussetzung für die Behandlung gegen den Willen des Patienten ist ferner eine strenge Prüfung derVerhältnismäßigkeit: Ist die Behandlung erforderlich? Ist sie geeignet, das Ziel der Maßnahme zu erreichen? Gibt es ein milderes, gleichermaßen geeignetes Mittel? Die Belastung der psychisch Kranken durch die Zwangsmedikation darf auch nicht außer Verhältnis sein zum erwarteten Erfolg.

Vor der Behandlung muss zudem eineärztliche Aufklärungstattfinden. Sollte dies aufgrund des Zustands der Person nicht möglich sein, muss mit ihr nach der Behandlung ein entsprechendes Gespräch geführt werden. Die Zwangsmedikation muss immer von einer Ärztin bzw. einem Arzt angeordnet und überwacht werden. Alle Maßnahmen sind umfassend zudokumentieren.

Richtervorbehalt

Die Zwangsmedikation steht nach den Angaben von Ministerpräsident Kretschmann unter Richtervorbehalt. Sie müsse vorab durch die Einschaltung dieser neutralen Instanz genehmigt werden. Die Betreuungsgerichte bzw. bei Unterbringungen im Maßregelvollzug die Strafvollstreckungskammern und Jugendkammern, so Ministerin Altpeter,  seien mit der Materie vertraut. Um sich umfassend medizinisch zu informieren, hätten sie zudem die Möglichkeit, für ihre Entscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen. Aufgrund der Sachkenntnis und des bestehenden Bereitschaftsdienstes bei den Gerichten könnten die richterlichen Entscheidungen zu Zwangsbehandlungen in kurzer Zeit getroffen werden.

Patientenverfügung geht vor

Wenn eine wirksame Patientenverfügung vorliegt, in der sich der Patient oder die Patientin gegen eine Zwangsbehandlung ausspricht, müsse sie auch beachtet werden, unterstrich Altpeter. Eine Zwangsbehandlung könne dann nicht durchgeführt werden, es sei denn, durch die Behandlung soll eine Lebensgefahr oder eine akute schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit dritter Personen abgewendet werden.

Das Sozialministerium hatte bereits im Mai dieses Jahres in einer öffentlichen Expertenanhörung mit allen Beteiligten über die künftige Gestaltung der medizinischen Zwangsbehandlung gesprochen. Dabei haben sich die Vertreter des Landesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen und der Angehörigen psychisch Kranker ebenso für eine Zwangsmedikation in engen Grenzen ausgesprochen wie die Vertreter des Pflegepersonals und des ärztlichen Personals in den Zentren für Psychiatrie.

Das baden-württembergische Unterbringungsgesetz (UBG) regelt, unter welchen Voraussetzungen, mit welchen Verfahren und mit welchen Konsequenzen psychisch Kranke gegen ihren Willen in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden können. Die Unterbringung muss von einem Gericht angeordnet werden. Die im bisherigen § 8 UBG beschriebenen Bedingungen für eine medizinische Zwangsbehandlung der Untergebrachten gilt nach diesem Gesetz ausdrücklich auch für Straftäter, die aufgrund einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Entscheidung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt unterzubringen sind.

Auf Bundesebene muss die medizinische Zwangsbehandlung auf der Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) für jene psychisch Kranken, die unter Betreuung stehen, ebenfalls neu geregelt werden. Der Bundesgerichtshof hatte jüngst die bisherige Praxis für rechtswidrig erklärt, wonach Psychiatrie-Patienten, die durch Anordnung eines Gerichts auf der Grundlage des Betreuungsrechts eingewiesen wurden, schon dann gegen ihren Willen zwangsbehandelt werden können, wenn die Betreuer der Kranken dem zustimmen.

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