Nahverkehr

Klimaschutzziele erfordern Verdopplung des Nahverkehrs bis 2030

Eine S-Bahn der Deutschen-Bahn fährt Richtung Stuttgart. (Bild: © picture alliance/Tom Weller/dpa)

Im Interesse des Klimaschutzes muss die Nachfrage im öffentlichen Personennahverkehr bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 2010 verdoppelt werden. Dieses ambitionierte Ziel ist nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller Akteure erreichbar. Eine Zukunftskommission hat Empfehlungen vorgelegt.

Im Interesse des Klimaschutzes muss nach den Worten von Verkehrsminister Winfried Hermann die Nachfrage im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 2010 verdoppelt werden. „Die Verdopplung des ÖPNV bis 2030 wird nur gemeinsam gelingen. Dazu müssen alle verantwortlichen Akteure in den nächsten Jahren einen großen Beitrag leisten,“ sagte der Minister am Donnerstag bei der Online-Präsentation der Empfehlungen der ÖPNV-Zukunftskommission. Die bereits im Dezember 2020 vorgestellte Studie „ÖPNV-Report“ habe gezeigt, dass dieses ambitionierte Ziel nur mit einer gemeinsamen Kraftanstrengung erreichbar ist.

ÖPNV-Zukunftskommission legt Empfehlungen vor

Bereits im Sommer 2020 hat das Land einen breit angelegten Dialogprozess für die Erstellung und Umsetzung der ÖPNV-Strategie 2030 ins Leben gerufen. Gemeinsam mit Vertretern aller relevanten Akteure wurden dabei in einer ersten Phase durch die ÖPNV-Zukunftskommission klare Ziele und konkrete Maßnahmenempfehlungen in allen relevanten Handlungsfeldern des öffentlichen Verkehrs in Baden-Württemberg entwickelt.

Der Verkehrsminister hob hervor, dass die wichtigen Empfehlungen mit den beteiligten Akteuren im Konsens erarbeitet worden sind. Er sagte: „Die Arbeit der ÖPNV-Zukunftskommission hat gezeigt, dass wir eine gemeinsame Vorstellung davon haben, wie das Ziel erreicht werden kann und welche Maßnahmen dazu erforderlich sind. Das von der Kommission erarbeitete Leitbild und die gemeinsamen Ziel- und Maßnahmenempfehlungen sind damit für die weitere Ausarbeitung der ÖPNV-Strategie 2030 eine sehr wertvolle und wichtige Grundlage, die wir aufgreifen werden. Denn bei all den wichtigen kurzfristigen Maßnahmen zur Eindämmung der Folgen der Corona-Krise für den ÖPNV dürfen wir den Klimaschutz und die dafür erforderlichen längerfristigen Maßnahmen nicht aus dem Blick verlieren. Ich danke daher der Zukunftskommission für die wertvolle Arbeit.“

Zehn Handlungsfelder, 30 Teilziele und 130 Maßnahmen

Die Ergebnisse der ÖPNV-Zukunftskommission decken in zehn Handlungsfeldern, 30 Teilzielen und 130 Maßnahmen sämtliche Bereiche für den Ausbau des ÖPNV ab. Aufbauend auf den Erkenntnissen aus dem ÖPNV-Report hob Minister Hermann dabei folgende Maßnahmen besonders hervor: „Der wichtigste Hebel für den Ausbau des ÖPNV ist eine deutliche Verbesserung des ÖPNV-Angebots. Daher freut es mich, dass die Zukunftskommission sich auf ein Ziel für Mindestbedienstandards verständigt hat, dass Busse und Bahnen künftig landesweit mindestens alle 30 Minuten und in Verdichtungsräumen mindestens alle 15 Minuten verlässlich fahren sollen.“ In sehr dünn besiedelten Gebieten und zu Zeiten, in denen nur noch wenige Menschen unterwegs sind, müssten dazu ergänzend auch neue Angebote, wie Ridepooling, flexible Bedienformen und On-Demand-, also bedarfsorientierte Angebote eine wichtige Rolle spielen. Auch die optimale Vernetzung mit anderen Verkehrsträgern – vor allem zu Fuß, mit dem Fahrrad und mit Carsharing – sowie die digitale Vernetzung werde für den künftigen Erfolg entscheidend sein. Durch ein verbessertes Preis-Leistungsverhältnis sowie durch preiswerte und flexible Tarife soll der ÖPNV für die Fahrgäste attraktiver werden.

ÖPNV als kommunale Pflichtaufgabe

Um landesweit eine stärkere Verbindlichkeit für den dringend erforderlichen Ausbau des ÖPNV schaffen zu können, unterstrich Minister Hermann auch die Empfehlung der Zukunftskommission, sich mit dem ÖPNV als kommunale Pflichtaufgabe auseinanderzusetzen: „Aus den vielfältigen Maßnahmen sticht diese Empfehlung heraus, denn sie stellt vom Ansatz her einen Paradigmenwechsel in punkto Finanzierungs-rahmen, Aufgabenverteilung und Verantwortlichkeiten dar. Aus meiner Sicht ist die Zeit reif, den ÖPNV als kommunale Pflichtaufgabe mit definierten Mindeststandards gesetzlich zu verankern. Im Vorfeld müssten dazu in gemeinsamer Abstimmung zwischen Land und kommunalen Aufgabenträgern sowie weiteren relevanten Akteuren die Mindeststandards und Finanzierungsmöglichkeiten noch genauer ermittelt werden.“ Die Zukunftskommission fordert Bund, Land und Kommunen auf, eine solide Finanzierungsbasis für die großen Herausforderungen des ÖPNV-Ausbaus zu schaffen. Das Land aber auch der Bund müssten die dazu erforderliche Finanzausstattung der kommunalen Aufgabenträger sicherstellen. Der Minister ergänzte: „Wenn darüber hinaus die Kommunen ihren Anteil finanzieren und zusätzliche Mittel zum Beispiel über einen Mobilitätspass für den Ausbau des ÖPNV generieren, dann bekommen wir insgesamt die dringend erforderlichen Finanzmittel für die Angebotsverbesserungen.“

Die vielfältigen Maßnahmenempfehlungen wurden bei der Veranstaltung im Rahmen einer virtuellen Podiumsdiskussion mit verschiedenen Expertinnen und Experten diskutiert. Prof. Dr. Alexis v. Komorowski, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags, würdigte die Ergebnisse der Zukunftskommission: „Wir haben uns immer für ein Gesamtkonzept zum Ausbau nachhaltiger Mobilitätsangebote ausgesprochen. Auf diesem Weg setzt die ÖPNV-Strategie für die Land- und Stadtkreise als kommunale Aufgabenträger wichtige Impulse im Hinblick auf die Verkehrswende. Jetzt gilt es, gemeinsam den notwendigen Finanzierungsrahmen festzulegen, damit die Maßnahmen jeweils passgenau wirken können.“ Dr. Alexander Pischon, Vorsitzender der VDV-Landesgruppe Baden-Württemberg (Verband Deutscher Verkehrsunternehmen) betonte: „Beim Kampf gegen den Klimawandel kommt dem öffentlichen Nahverkehr eine entscheidende Rolle zu. Wenn wir unsere verkehrs- und klimapolitischen Ziele erreichen wollen, müssen wir die Verkehrswende schneller vorantreiben. Mit den von der Zukunftskommission entwickelten Zielbildern und Maßnahmenempfehlungen wollen wir den ÖPNV in den nächsten Jahren weiter stärken und ausbauen und so eine Verdopplung der Fahrgastzahlen erreichen. Es freut mich, dass der VDV sich bei diesem Prozess mit seiner Expertise einbringen kann.“

Bedürfnisse der Fahrgäste in den Mittelpunkt stellen

In der Diskussion kam auch die Notwendigkeit, die Bedürfnisse der Fahrgäste in den Mittelpunkt der Bemühungen zu stellen, nicht zu kurz. Matthias Lieb vom Fahrgast-beirat unterstrich die Wichtigkeit, „dass zukünftig Busse und Bahnen für alle Bevölkerungsgruppen ein wertgeschätztes Mobilitätsangebot bieten. Die Fahrgäste frühzeitig in die Planungen einzubeziehen, ist deshalb für den Erfolg entscheidend.“ Prof. Dr. Ulrike Reutter, Leiterin des Bereichs Öffentliche Verkehrssysteme und Mobilitätsmanagement an der Bergischen Universität Wuppertal, ergänzte den wissenschaftlichen Blick von außen: „Wissenschaft und Forschung können insbesondere neue und innovative Maßnahmen wie zum Beispiel die Einführung eines kommunalen Mobilitätspasses oder die Umsetzung neuartiger On-Demand-Angebote durch Modell- und Pilotprojekte wissenschaftlich begleiten, auf ihre Wirkungen hin evaluieren und für die Umsetzung in großem Maßstab weiterentwickeln.“

Zum Schluss betonte Minister Hermann die Bedeutung des weiteren gemeinsamen Vorgehens: „Nun gilt es, weiterhin partizipativ die Empfehlungen der Zukunftskommission in der ÖPNV-Strategie festzuhalten und die Umsetzung der vielen Maßnahmen dann zügig anzugehen. Denn mit der ÖPNV-Strategie 2030 sollen alle relevanten Akteure einen klaren Fahrplan haben, wie wir gemeinsam das Verdopplungsziel erreichen.“ 

ÖPNV-Strategie 2030

Um das Ziel der Verdopplung des ÖPNV bis 2030 zu erreichen, erstellt das Land Baden-Württemberg als konzeptionell-strategischen Fahrplan die ÖPNV-Strategie 2030. Zur Erarbeitung der Strategie und der konkreten Teilziele und Maßnahmen, die erforderlich sind, um das Verdopplungsziel zu erreichen, sind verschiedene Formate zur Beteiligung der Akteure vor Ort vorgesehen. In einer ersten Phase zwischen Juli und Dezember 2020 hat die ÖPNV-Zukunftskommission, bestehend aus circa 20 Vertreterinnen und Vertretern der Aufgabenträger, der Stadt- und Landkreise, der Verkehrs-unternehmen, der Verkehrsverbünde, des Fahrgastbeirats, der Gewerkschaften und der Wissenschaft konkrete Teilziele sowie vielfältige und weitreichende Maßnahmenempfehlungen in allen relevanten Handlungsfeldern des ÖPNV formuliert. Für die weitere Ausarbeitung der ÖPNV-Strategie 2030 bilden die Empfehlungen der ÖPNV-Zukunftskommission eine sehr wichtige Grundlage.

Neben der Beteiligung der ÖPNV-Zukunftskommission wird es noch weitere Beteiligungsmöglichkeiten geben. Geplant sind eine Online-Umfrage unter regionalen Akteuren zur Bewertung der Maßnahmenempfehlungen. An die Erarbeitungsphase knüpft im Frühjahr / Sommer 2021 ein Anhörungsverfahren an. Dort wird der Entwurf der ÖPNV-Strategie in den Regierungsbezirken vorgestellt und diskutiert. Bis Sommer 2021 soll die ÖPNV-Strategie 2030 fertiggestellt werden. Nach den Anhörungen wird dann die neue Landesregierung die Ergebnisse bewerten und entsprechend die Strategie beschließen. Im Anschluss an die eigentliche Erstellung der ÖPNV-Strategie ist vom Herbst 2021 an ein weiterer Dialogprozess vorgesehen, der unter anderem zahlreiche Vor-Ort-Gespräche in den Stadt- und Landkreisen beinhaltet. Dabei soll konkretisiert werden, wie die Maßnahmen aus der ÖPNV-Strategie vor Ort umgesetzt werden können.

Verkehrsministerium: ÖPNV-Strategie 2030

Leitbild der ÖPNV-Zukunftskommission (PDF)

Ziel- und Maßnahmenempfehlungen der ÖPNV-Zukunftskommission (PDF)

Auswahl zentraler Maßnahmen zur Verdopplung des ÖPNV bis 2030 - Erste Einschätzung des Ministeriums für Verkehr zu den Empfehlungen der ÖPNV-Zukunftskommission (PDF)

ÖPNV-Strategie 2030: Mitglieder der Zukunftskommission (PDF)

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