Gesundheit

Land fördert Modellprojekt für schwer erkrankte Erwachsene nach Infektionen

Das Land fördert ein Modellprojekt für schwer erkrankte Erwachsene nach Infektionen. Ziel ist eine bessere Versorgung von Menschen mit Postakutem Infektionssyndrom.

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Eine Frau liegt auf einem Kissen mit Kopfhörern gegen Geräusche.
Symbolbild

Menschen, die nach einer Infektion unter schweren körperlichen Funktionseinschränkungen leiden, sollen künftig besser versorgt werden. Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg fördert ein neues Modellprojekt der Universität Heidelberg mit rund 400.000 Euro. Ziel ist es, die Versorgung von Erwachsenen mit Postakutem Infektionssyndrom (PAIS), die aufgrund ihrer schweren Erkrankung ans Haus oder ans Bett gebunden sind, zu verbessern.

„Diese Menschen haben oft einen sehr langen Leidensweg hinter sich und brauchen dringend passgenaue medizinische und psychotherapeutische Unterstützung“, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha anlässlich des Projektstarts. „Mit diesem Modellprojekt schaffen wir Strukturen, die dort helfen sollen, wo bisher Lücken waren. Damit gehen wir einen wichtigen Schritt, um diese noch viel zu oft übersehenen Patientinnen und Patienten endlich besser zu versorgen. Wir wollen nicht nur konkret und individuell helfen, sondern mit dem Projekt auch die Erkenntnisbasis erweitern, damit die Betroffenen auch in Zukunft systematisch versorgt werden. Baden-Württemberg übernimmt hier einmal mehr eine Vorreiterrolle in der innovativen Gesundheitsversorgung.“

Das Projekt „Gesundheitsversorgung Baden-Württemberg für Erwachsene mit schweren Funktionseinschränkungen im Rahmen Postakuter Infektionssyndrome (SEVERE-PAIS)“ läuft vom 1. November 2025 bis zum 31. Mai 2027 und wird von der Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der Universität Heidelberg unter Leitung des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. med. Attila Altiner durchgeführt.

Zwei neue Versorgungsformen im Test

Für die Gruppe der Patientinnen und Patienten mit Postakutem Infektionssyndrom (PAIS), die aufgrund schwerer Funktionseinschränkungen überwiegend hausgebunden oder bettlägerig sind, fehlt es im deutschen Gesundheitssystem derzeit an passgenauen Versorgungsangeboten. Symptome von PAIS sind zum Beispiel Fatigue, Belastungsintoleranz, Veränderungen des vegetativen Nervensystems, Muskelschmerzen, Schlafstörungen und psychische Belastung. Die etablierten Angebote in der ambulanten und stationären Versorgung sind für diese Gruppe nicht nutzbar und Versorgungskonzepte für diese Gruppe fehlen, was zu einer schwerwiegenden Unterversorgung führt.

Mit dem Projekt „SEVERE-PAIS“ werden jetzt zwei innovative Versorgungsansätze erprobt und wissenschaftlich begleitet:

  • Telemedizinische Betreuung/Multiprofessionelles Online-Begleitangebot: Sechs Monate lang werden regelmäßige ärztliche Visiten, eine psychotherapeutische Begleitung und Visiten durch sogenannte PAIS-Nurses durchgeführt – jeweils über Videokonsultationen. Hausärztinnen und Hausärzte werden bedarfsorientiert über Fallbesprechungen eingebunden. Insgesamt werden hierüber 15 Patientinnen und Patienten versorgt.
  • Aufsuchende Betreuung: Ein multiprofessionelles Team besucht die Betroffenen direkt zuhause, um medizinische und psychotherapeutische Unterstützung vor Ort zu leisten. Ebenfalls über einen Zeitraum von sechs Monaten werden regelmäßige ärztliche Visiten und Visiten durch eine PAIS-Nurse sowie eine psychotherapeutische Onlinebegleitung durchgeführt. Auch hier werden Hausärztinnen und Hausärzte bedarfsorientiert über Fallbesprechungen eingebunden und 15 Patientinnen und Patienten versorgt.

Beide Ansätze sollen zeigen, welche Form den Bedürfnissen der schwer Erkrankten am besten gerecht wird. Insgesamt profitieren 30 besonders schwer betroffene Patientinnen und Patienten unmittelbar von dem Projekt.

„Wir wollen herausfinden, wie wir auch Menschen erreichen können, die aufgrund ihrer Krankheit kaum mobil sind und für die der Weg in die Praxis oder Klinik zu belastend wäre“, erklärte Projektleiter Professor Altiner. „Mit dem Modellprojekt wird außerdem eine wissenschaftliche Grundlage geschaffen, die eine spätere Integration einer geeigneten Versorgungsform in die Regelversorgung ermöglichen kann.“

Wissenschaftliche Basis für die Regelversorgung

Die Forschenden erfassen während der Projektlaufzeit medizinische und psychologische Daten, um langfristig eine wissenschaftliche Grundlage für eine dauerhafte Regelversorgung zu schaffen. Zu Beginn und am Ende der Projektphase erfassen Wearables für je 14 Tage verschiedene Parameter der Patientinnen und Patienten wie Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung des Blutes und Schrittzahl. Ergänzend beantworten die Patientinnen und Patienten Fragen zu ihrer momentanen Stimmung und zu ihren Aktivitäten und erstellen täglich einmal einen eingesprochenen Tagebucheintrag. Somit erlaubt die belastungsarme Begleiterhebung eine objektive Erfassung der Körperfunktionen und der jeweiligen Belastung. Ebenfalls zu Beginn und zum Ende der Interventionen werden bei allen Patientinnen und Patienten Fragebögen erhoben sowie Bioproben durch das Projektteam oder, bei der Online-Gruppe, durch die Hausärztin oder den Hausarzt entnommen. Die Ergebnisse der Erhebung fließen in die wissenschaftliche Auswertung ein. Gleichzeitig ermöglichen sie den Betroffenen, ihre Krankheit besser zu verstehen. Dadurch können sie ihre Selbstwirksamkeit und ihr Belastungsmanagement im Umgang damit verbessern.

Zusätzlich wird ein Patientenregister und eine Biodatenbank aus den erhobenen Studiendaten aufgebaut. Die bisher kaum erforschte Patientengruppe soll damit systematisch erfasst werden, um eine Grundlage für evidenzbasierte Forschung zu schaffen. Mit den standardisierten klinischen Parametern, Bioproben und den Ergebnissen der validierten Fragebögen können zukünftige Forschungsvorhaben ermöglicht werden. Interviews mit Patientinnen und Patienten, deren Angehörigen und Versorgenden sowie die Projektdokumentation ergänzen die Evaluation. Abschließend werden Empfehlungen über eine SWOT-Analyse abgeleitet. Die gewonnenen Daten können somit langfristig zur Verbesserung der Versorgung aller PAIS-Betroffenen beitragen.

Postakutes Infektionssyndrom (PAIS)

Das Postakute Infektionssyndrom (PAIS) kann nach verschiedenen Infektionen wie SARS-CoV-2, Epstein-Barr-Virus oder Varizella-Zoster-Virus auftreten. Aufgrund der unspezifischen Symptome und fehlender Biomarker erfolgt die Diagnose auf Grundlage von festgelegten Kriterien und unter Ausschluss von anderen Erkrankungen.

Das Projekt „SEVERE-PAIS“ baut unter anderem auf Erkenntnissen aus dem „Modellprojekt adaptive, sektorenübergreifende Gesundheitsversorgung Long-/Post-COVID-Syndrom in Baden-Württemberg (SEVEN-PCS)“ auf. Das Sozialministerium förderte dieses Projekt aller vier baden-württembergischen Universitätskliniken aus Landesmitteln in Höhe von rund 1,7 Millionen Euro in den Jahren 2023/2024. Ziel war die Entwicklung eines sektorenübergreifenden Versorgungsmodells für Patientinnen und Patienten mit Post-COVID-Syndrom.

Für die Umsetzung des neuen Projekts „SEVERE-PAIS“ ist federführend die Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) unter der Projektleitung von Prof. Dr. med. Attila Altiner verantwortlich. Kooperationspartner sind die Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am UKHD unter Leitung von Prof. Dr. med. Hans-Christoph Friederich und die Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie, Infektionskrankheiten und Vergiftung am UKHD unter Leitung von Prof. Dr. med. Patrick Michl. Für die Projektorganisation und Teilprojektleitung ist aus der Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung am UKHD Dr. med. Sandra Stengel verantwortlich. Als weitere Teilprojektleitungen sind Dr. Verena Zimmermann-Schlegel sowie Dr. sc. Hum. Gwendolyn Mayer von der Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik am UKHD beteiligt.

Eine Blitzumfrage der Abteilung für Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung bei 175 Hausärztinnen und Hausärzten in Baden-Württemberg im März 2024 ergab, dass 98 Prozent der Befragten Patientinnen und Patienten mit Post-COVID-Syndrom in ihren Praxen behandeln, im Median fünf Patientinnen und Patienten pro Praxis. 62 Prozent der Befragten hatten bereits vor der Corona-Pandemie Kontakt mit der Versorgung von Patientinnen und Patienten mit PAIS. Etwa ein Drittel der Befragten gab an, mindestens eine Person mit PAIS mit schweren Funktionseinschränkungen medizinisch zu versorgen.

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