Die Zweite Opfer- und Zeugenschutzkommission ist heute in Stuttgart zu ihrer Auftaktsitzung zusammengekommen. Der Kommission gehören Vertreter des Justiz-, des Innen- und des Sozialministeriums, von Gerichten und Staatsanwaltschaften, der Anwaltschaft, der freien Straffälligenhilfe, des Trägers der Bewährungs- und Gerichtshilfe und von Opferschutzorganisationen an. In den kommenden Monaten werden sie Vorschläge zur Verbesserung des Zeugen- und Opferschutzes im Strafverfahren erarbeiten.
„Mit der Kommission rücken wir bewusst die Opfer und die Zeugen in den Fokus“, sagten Justizminister Rainer Stickelberger, Sozialministerin Katrin Altpeter und Innenminister Reinhold Gall während der Vorstellung der Kommission: „Denn in einem sozialen Rechtsstaat dürfen die Rechte und Belange der Geschädigten nicht auf der Strecke bleiben.“
Die erste Fachkommission Opfer- und Zeugenschutz in Baden-Württemberg war 1998 eingerichtet worden. Im Oktober 1999 hatte sie ihren Abschlussbericht vorgelegt. Zahlreiche Vorschläge daraus wurden mittlerweile umgesetzt, beispielsweise der Platzverweis in Fällen häuslicher Gewalt und die Einrichtung von Zeugenzimmern an Gerichten. „Seither gab es verschiedene Gesetzesreformen, etwa das Erste und das Zweite Opferrechtsreformgesetz“, erklärte der Justizminister: „Wir hinterfragen nun, ob diese Neuregelungen auch tatsächlich erreichen, was sie versprechen: nämlich dafür zu sorgen, dass sich Opfer in einem Strafverfahren nicht ein zweites Mal in die Opferrolle versetzt fühlen.“
Sozialministerin Altpeter will im Rahmen der Opfer- und Zeugenschutzkommission insbesondere Fragen der Traumatherapie von Gewaltopfern klären. Zur Vermeidung posttraumatischer Belastungsstörungen bräuchten diese Menschen in vielen Fällen eine psychotherapeutische Frühversorgung. In einem ersten Schritt habe sie die Psychotherapeutenkammer um eine Erhebung darüber gebeten, wer in Baden-Württemberg die Befähigung zur traumatherapeutischen Behandlung besitzt und auch bereit ist, Gewaltopfer ohne Wartezeiten zu behandeln. Sobald diese Ergebnisse vorlägen, werde man über mögliche Konsequenzen für die künftige Ausgestaltung der traumatologischen Behandlung beraten.
„Opferschutz und Opferbetreuung gehört heute zum Selbstverständnis der polizeilichen Arbeit“, sagte Innenminister Gall. Die Einrichtung von kindgerechten Video-Anhörungszimmern, das Platzverweisverfahren bei häuslicher Gewalt und die Gesetzesänderung, um konsequent gegen Stalking vorgehen zu können, seien aus Sicht der Polizei schon große Fortschritte gewesen. Der Opferschutz müsse aber weiter ausgebaut werden. Sorge bereite beispielsweise die Sensationsberichterstattung mancher Medien bei öffentlichkeitswirksamen Straftaten wie dem Amoklauf in Winnenden und Wendlingen. Mit großen Geldbeträgen werde versucht, Bilder und intime Details zu kaufen. Hilfe durch die Vermittlung eines „Medienanwalts“ könne rücksichtslose Veröffentlichungen unterbinden. So werde verhindert, dass Opfer zum zweiten Mal zu Opfern würden. Obwohl in Baden-Württemberg bisher keine Fälle bekannt seien, müsse man sich schon jetzt auf die Phänomene Zwangsheirat und Gewalt im Namen der Ehre, gewachsen aus patriarchalischen Strukturen und Traditionen, vorbereiten. Augenmerk verlange auch die Kriminalität, bei der die Hilflosigkeit von Senioren ausgenutzt werde. „Opferschutz ist eine Daueraufgabe, die alle betrifft. Sie wird deshalb in der neuen Polizeistruktur ihren hohen Stellenwert behalten“, betonte Gall.
Als Vorsitzender der Zweiten Opfer- und Zeugenschutzkommission stellte Generalstaatsanwalt Dr. Schlosser die Bedeutung des Opfer- und Zeugenschutzes sowohl für diese Beteiligten als auch für die nachhaltige Strafverfolgung heraus. Die angemessene Behandlung von Opfern und Zeugen trage auch zu deren Bereitschaft bei, Straftaten zur Anzeige zu bringen und sich als Zeugen zur Verfügung zu stellen. Andererseits sei die Staatsanwaltschaft selbstverständlich verpflichtet, einen Sachverhalt aus einer absolut neutralen Position heraus aufzuklären und ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewährleisten.
Weitere Informationen:
Mitglieder der Zweiten Opfer- und Zeugenschutzkommission sind
- Andreas Arndt, Landgericht Stuttgart
- Dr. Markus Beck, Justizministerium Baden-Württemberg
- Anne Cless, Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg
- Dr. Stephanie Egerer-Uhrig, Staatsanwaltschaft Karlsruhe
- Hartmut Grasmück, Innenministerium Baden-Württemberg
- Tanja Haberzettl-Prach, Rechtsanwältin
- Erwin Hetger, WEISSER RING e.V.
- Hilde Höll, Netzwerk Straffälligenhilfe in Baden-Württemberg
- Margot Kainz, NEUSTART gGmbH
- Dr. Uwe Schlosser, Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe
- Klaus Dieter Wülfrath, Rechtsanwalt, Stiftung Hänsel+Gretel
Die Geschäftsführung der Kommission übernimmt Petra Scheck, Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe.
Mit folgenden Themen wird sich die Zweite Opfer- und Zeugenschutzkommission beschäftigen:
- Verbesserung des Anwendungsbereichs des Täter-Opfer-Ausgleichs
- Stärkung des Adhäsionsverfahrens
- Zeugenbegleitung bei den Gerichten
- Umgang der Polizei und Justiz mit Verletzten einer Straftat
- Information von Opfern und Verfahrensbeteiligten über ihre Stellung und Rechte
- Schutz des Opfers vor wiederholten Übergriffen - Vernetzung der Maßnahmen
- Gefährdete Zeugen - Maßnahmen außerhalb des Zeugenschutzprogramms
- Spezifische Bedürfnisse von Stalkingopfern und Zwangsverheirateten
- Traumatologische Behandlung von Gewaltopfern
Quelle:
Justizministerium Baden-Württemberg / Innenministerium Baden-Württemberg / Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg