Zum Abschluss der fünfjährigen Mitträgerschaft des Landes des Projektes „Gesellschaft gemeinsam gestalten“, in dem die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart einen Dialog zwischen den islamischen Verbänden, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und dem Land Baden-Württemberg moderierte, empfing Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Neuen Schloss eine Delegation.
Kretschmann erklärte: „Sie alle haben sich in den letzten Jahren im Rahmen von ,Gesellschaft gemeinsam gestalten‘ an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart miteinander und mit Vertretern des Staates, von Wissenschaft und Zivilgesellschaft intensiv ausgetauscht. Für dieses überwiegend ehrenamtliche Engagement möchte ich Ihnen danken. Der Akademie und der Robert Bosch Stiftung möchte ich meine Hochachtung dafür aussprechen, dass sie über Jahre hinweg die Bedingungen geschaffen haben, dass vertrauensvolle Begegnungen stattfinden konnten.“
Neben einer Vielzahl einzelner Gespräche und Veranstaltungen wurde jährlich eine zweitägige Konferenz mit Vertretern der Landesregierung ausgerichtet. Die Projektreihe fand inhaltlich große Resonanz und beförderte eine Öffnung von Verwaltungen und islamischen Verbänden. Kultusminister Andreas Stoch: „Insbesondere der islamische Religionsunterricht wurde in der Veranstaltungsreihe breit diskutiert und hat viele Impulse erhalten.“
In der Tagungsreihe wie im daran anknüpfenden aktuellen Projekt zur Jugendarbeit wurden modellhafte Erfahrungen vor allem auf kommunaler Ebene ausgewertet und öffentlich gemacht, so Projektleiter Hansjörg Schmid von der Akademie. „Auf diese Weise wurde sichtbar, dass Muslime Akteure der Zivilgesellschaft sind und schon heute etwa durch praktizierte Ehrenamtlichkeit in Moscheevereinen, Jugendgruppen oder in der Hausaufgabenhilfe zum Gemeinwohl beitragen.“
Erdinç Altuntaş von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) in Baden-Württemberg, Yavuz Kazanc vom Landesverband der Islamischen Kulturzentren (LVIKZ) und Muhittin Soylu von der Islamischen Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg (IGBW) erklärten, dass sie „mit Stolz auf die gemeinsamen Errungenschaften wie etwa die Gründung des ersten Zentrums für Islamische Theologie in Deutschland an der Universität Tübingen, die Einrichtung des Runden Tisches Islam des Integrationsministeriums, die Abschaffung der Sargpflicht und die Repräsentanz von Muslimen im Rundfunkrat blicken.“ Dies alles seien bedeutsame Schritte zu einer gleichberechtigten Teilhabe. Allerdings wünschten sich die islamischen Verbände, dass aus Provisorien und Modellversuchen bald Regellösungen entstehen können. Als beispielhaft werteten sie die „Staatsverträge“ in Bremen und Hamburg, die die „Handlungssicherheit für Muslime und Verwaltungsmitarbeitende wesentlich erhöht“ hätten.
Der Ministerpräsident erklärte, dass eine formelle Aufnahme von Verhandlungen zu einem Staatsvertrag zum jetzigen Zeitpunkt seiner Auffassung nach noch nicht zum Ziel, sondern zu Enttäuschungen führen würde. „Mit dem Status anerkannter Religionsgemeinschaften verbindet unser Religionsverfassungsrecht in Baden-Württemberg ganz andere Rechte und Pflichten als beispielsweise Hamburg oder Bremen.“ Die Staatsverträge mit den Kirchen und jüdischen Gemeinden hätte man in Baden-Württemberg deshalb immer mit Körperschaften des öffentlichen Rechts geschlossen, was das erforderliche Maß an organisatorischer Geschlossenheit gewährleistet habe. Minister Stoch unterstrich: „Über diese rechtlichen Hürden müssen die islamischen Verbände noch kommen und wir wollen Ihnen gerne dabei helfen.“
Landesregierung und islamische Verbände kamen darin überein, dass es nun darum gehen müsse, die Ergebnisse des fünfjährigen Dialogs in praktisches Handeln umzusetzen und gemeinsame Lösungen zu gestalten. „Ich kann mir einen Staatsvertrag am Ende des Prozesses gut vorstellen. Zunächst kommt es aber darauf an, für die Menschen schnell greifbare Ergebnisse zu erzielen“, so Kretschmann.
Der Ministerpräsident schlug den muslimischen Gesprächspartnern vor, bis Ende des Jahres ein Gremium aus Verbandsvertretern, Theologen und wichtigen Einzelpersonen zu bilden, das der Landesregierung als fixer Ansprechpartner vorgeschlagen werden kann. „Die Landesregierung wird ihrerseits eine Arbeitsgruppe beim Staatsministerium bilden, die zu den einzelnen Themen die jeweils betroffenen Ministerien einbezieht. Gemeinsam wollen wir konkrete Fortschritte in Sachfragen erzielen und erst einmal eine Vereinbarung unterhalb eines Staatsvertrages unterzeichnen.“
Die muslimischen Gesprächspartner begrüßten den Vorschlag des Ministerpräsidenten und sagten zu, „bis zum Jahresende“ den gemeinsamen Ansprechpartner auf die Beine zu stellen. „Wir begrüßen die Zusammenarbeit zwischen dem Land und den islamischen Verbänden. Auch unsere Studierenden brauchen klare berufliche Zukunftsperspektiven und wünschen sich Fortschritte im Verhältnis von Islam und Staat“, unterstrich Professor Erdal Toprakyaran, Direktor des Zentrums für Islamische Theologie der Universität Tübingen.