Interview

„Wir wollen die bestmöglichen Zukunftschancen für die Kinder eröffnen“

Andreas Stoch - Minister für Kultus, Jugend und Sport

Der neue Kultusminister Andreas Stoch will den Bildungsaufbruch im Land engagiert fortsetzen. Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung sprach Stoch über seine neue Aufgabe, die Gemeinschaftsschule und die weitere Gestaltung der Schullandschaft im Land.

Stuttgarter Zeitung: Herr Stoch, eine große Aufgabe liegt vor Ihnen. Sind Sie nervös?

Andreas Stoch: Nein.

Stuttgarter Zeitung:  Das Kultusministerium scheint aus den Fugen geraten. Wie wollen Sie es wieder zusammen bekommen?

Andreas Stoch: Ich habe nicht den Eindruck, das Kultusministerium sei aus den Fugen geraten. Vielmehr habe ich bei meinen Gesprächen eine gute Stimmung verzeichnet. Ich habe mir vorgenommen, sehr stark auf Kommunikation im Innenbereich zu setzen. Meine Gespräche zeigen mir auch, dass im Ministerium ein großer Drang besteht, gemeinsam zum Erfolg zu kommen.

Stuttgarter Zeitung: In der Bildungspolitik gibt die Koalition kein überzeugendes Bild ab. Was ist schief gelaufen? Waren die Erwartungen zu groß?

Andreas Stoch: Wir haben viele Grundentscheidungen getroffen, die bei der Bevölkerung auf große Zustimmung stoßen: Die Einführung der Gemeinschaftsschule, der Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung oder das Thema G8/G9 und die frühkindliche Bildung. Die Entscheidungen sind definitiv richtig. Aber trotzdem haben wir vor Ort häufig ein Gefühl der Unsicherheit und der Ablehnung. Das zeigt mir, dass wir in der Kommunikation deutlich besser werden und auch bei der Umsetzung klare und verlässliche Vorgaben machen müssen.

Stuttgarter Zeitung:  Wenn die Grundsatzentscheidungen gefallen sind, bleibt dem neuen Minister nur die Umsetzung. Ist das nicht ein bisschen wenig und auch langweilig?

Andreas Stoch: Es wäre völlig falsch anzunehmen, Bildungspolitik sei jetzt nur noch ein Verwaltungsfeld. Denken Sie an die Themen Inklusion und Ganztagsschule. Wir werden uns in nächster Zeit auch mit dem Thema Bildungspläne beschäftigen müssen. Diese Diskussion lief in der Öffentlichkeit bisher nicht sehr strukturiert und hat so wieder Ängste geweckt. Ein weiteres zentrales Element ist die Personalsteuerung. Wir müssen etwa fragen, wie wir gute Pädagogen dazu bringen, Schulleitungsämter zu übernehmen. Die Arbeit wird auch bei den bildungspolitischen Grundsatzentscheidungen so bald nicht ausgehen.

Stuttgarter Zeitung: Einer Ihrer ersten öffentlichen Auftritte wird es sein, die Standorte der weiteren neunjährigen Gymnasien bekannt zu geben. Müssen Sie dabei Entscheidungen verkünden, die Ihrer Überzeugung widersprechen?

Andreas Stoch: Viele Eltern betrachten die Umsetzung von G 8 als nicht erfolgreich. Allerdings gibt es auch Regionen, in denen G 8 gut funktioniert. Debatten über die Rücknahme von G 8 führen wir nicht. Wir haben aber eine Wahlmöglichkeit zwischen G 8 und G 9 zugesagt. Nun steht der Kompromiss auf Druck der Grünen, wonach 44 Anträge auf G 9 genehmigt werden. Entscheidend ist, welche anderen Angebote wir Kindern machen können. Wir müssen dafür sorgen, dass jedes Kind den bestmöglichen Abschluss erreichen kann. Ganz wichtig ist mir das Signal an die Wirtschaft: Wir brauchen auch eine starke Säule der beruflichen Bildung. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass ein Zweig ausgedörrt und der andere überzüchtet werde.

Stuttgarter Zeitung: Es soll 44 G 9 -Gymnasien im Land geben. Bleibt es dabei?

Andreas Stoch: Ja.

Stuttgarter Zeitung: Wie geht es weiter mit der Gemeinschaftsschule? Beim Bürgerentscheid in Saulgau hat die CDU zum Angriff geblasen.

Andreas Stoch: Bei der CDU habe ich wie so oft das Gefühl, dass sie zum letzten Gefecht bläst. Wir wissen – auch von vielen Verantwortlichen in den Kommunen mit CDU-Parteibüchern – dass die Gemeinschaftsschule nicht als Bedrohung sondern als Chance betrachtet wird. Die Gemeinschaftsschule ist ein Angebot. Wir zwingen niemanden. Aber viele haben erkannt, dass die Gemeinschaftsschule was die Schulstruktur angeht, aber vor allem aus pädagogischen Gründen der richtige Weg ist. Wir können es uns bei zurückgehenden Schülerzahlen nicht leisten, im alten System weiter zu denken. Wir wollen die bestmöglichen Zukunftschancen für die Kinder eröffnen. Die Gemeinschaftsschule ist ein Mittel, um diese Ziele zu erreichen.

Stuttgarter Zeitung: Es gibt ja durchaus Vorbehalte gegen die Gemeinschaftsschule. Werden Sie möglichst viele dieser Schulen einrichten oder sagen Sie, lasst mal einige mit gutem Beispiel vorangehen?

Andreas Stoch: Die Debatte wird weniger aggressiv, sobald die Menschen eine Gemeinschaftsschule von innen gesehen haben. Das gilt sogar für den CDU-Fraktionschef Peter Hauk, der bei einem Besuch von der Begeisterung an den Schulen begeistert war. Mancher Abwehrreflex ist sicher auch aus der Unsicherheit über die weiteren Planungsschritte entstanden. Wir müssen die Umsetzung nun konkret definieren. Natürlich haben wir den Anspruch, dass Gemeinschaftsschulen, die jetzt neu entstehen erfolgreich arbeiten können. Deswegen haben wir als Mindestgröße eine stabile Zweizügigkeit definiert. Denn im Mittelpunkt steht nicht die Rettung von Schulstrukturen. Im Mittelpunkt stehen Qualität und Bildung.

Stuttgarter Zeitung: Bleibt es unumstößlich dabei, dass 40 Schüler pro Jahrgang das Minimum sind?

Andreas Stoch: Ich habe in dieser Debatte immer davor gewarnt, mit starren Zahlen zu operieren. Ich plädiere dafür, pragmatisch die richtige Lösung vor Ort zu suchen. An einem Ort, von dem ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine dreiviertel Stunde bis zur nächsten weiterführenden Schule unterwegs bin, kann die Entscheidung auch bei weniger als 40 Schülern anderes aussehen als in einem Ballungsraum, wo die nächste Schule keinen Kilometer entfernt ist. Wir müssen die regionalen und lokalen Unterschiede beachten. Dann werden wir mit den kommunalen Verantwortlichen in großen Teilen einheitliche Entscheidungen hinbekommen.

Stuttgarter Zeitung: Wollen die Kommunen nicht klare Ansagen und umsetzen, was das Ministerium sagt?

Andreas Stoch: Die Eckdaten werden gemeinsam mit den kommunalen Landesverbänden formuliert. Mir geht es darum, dass die regionalen Besonderheiten nicht von vornherein durchs Raster fallen. Ich glaube nicht, dass man am Reißbrett in Stuttgart Bildung für das ganze Land Baden-Württemberg bis ins Detail planen kann.

Stuttgarter Zeitung: Die Koalition will ein Zweisäulenmodell. Wie sieht die zweite Säule neben dem Gymnasium aus?

Andreas Stoch: In der zweiten Säule ist vieles möglich. Wir wollen neben der Gemeinschaftsschule sehr wohl auch die anderen erfolgreichen Schulen ihre Arbeit machen lassen. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass Zwang hinter unserer Leitidee steht. Wir wollen aber gemeinsam mit den Schulen Entwicklungsprozesse anstoßen. Wir wollen bei allen Schulen das Thema individuelle Förderung viel stärker verbreiten und die Ganztagsangebote ausbauen. Mir ist es ehrlich gesagt egal, welches Schild außen an der Schule hängt, wenn in der Schule gute Arbeit geleistet wird.

Stuttgarter Zeitung: Gibt es in zehn Jahren noch Realschulen?

Andreas Stoch: Die Dauer eines solchen Umwandlungsprozesses ist nicht absehbar. Aus meiner Sicht gibt es deshalb in zehn Jahren auch noch Realschulen.

Stuttgarter Zeitung: In diesem Jahr sollen 1.000, nächstes Jahr 1.200 Lehrerstellen gestrichen werden. Ist an den Vorgaben noch etwas zu machen?

Andreas Stoch: Die Entwicklungsprozesse müssen trotz der Einsparungen möglich bleiben. Wir können nur sparen, wenn die Unterrichtsversorgung nicht beeinträchtigt wird. Ich nehme die Vorgabe der Stelleneinsparungen sehr ernst und will sie auch umsetzen. Aber oberste Leitlinie ist, dass das nicht zu Lasten der Unterrichtsversorgung gehen darf.

Das Gespräch führte Renate Allgöwer.

Quelle:

Stuttgarter Zeitung

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