Interview

"Wir brauchen gemeinsame Bonds für Europa"

Europaminister Peter Friedrich

Aus Brüssel fließt im Rahmen der EU-Strukturfonds viel Geld in Regionen, die bisher noch weniger entwickelt sind als andere. Diese EU-Fonds werden jetzt für die nächste Wirkungsperiode ab 2014 neu verhandelt. Im Interview mit "The European Circle" spricht Peter Friedrich, Minister für Bundesrat, Europa und internationale Angelegenheiten des Landes Baden-Württemberg und Vorsitzender des EU-Ausschusses des Bundesrats, über die Zielsetzung der Fonds, mögliche Veränderungen und die Zukunft Europas.

European Circle: Was genau soll mit Wirkung ab 2014 geändert werden und warum?

Friedrich: Als Innovationsregion Nr. 1 in der EU begrüßen wir es als Land Baden-Württemberg, dass EU-Strukturfondsmittel ab 2014 konsequent für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum eingesetzt werden sollen. Dies fördert den Ausbau Europas als wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum. Die EU-Kommission verankert damit endlich auch bei der Strukturpolitik den Innovations- und Wachstumsansatz der Europa 2020-Strategie. Die gescheiterte Lissabonstrategie hat uns aber gelehrt: wenn eine europäische Strategie funktionieren soll, dann müssen auch die starken Regionen mit an einem Strang ziehen. Daher ist es wichtig, dass auf diesem Weg auch Regionen wie Baden-Württemberg, mit ihrem Beitrag zu Innovation und Wettbewerbsfähigkeit von Strukturfördermitteln profitieren können.

European Circle: Was bisher offenbar nicht der Fall war. Wohin sind die Mittel bisher großenteils geflossen?

Friedrich: Die Europäische Union verfügt mit den Strukturfonds über ein Instrument, um die strukturellen Unterschiede zwischen den Regionen Europas auszugleichen. Das war schon immer ein Stück Transferunion. Es bestehen zum einen große Ungleichheiten zwischen den Mitgliedsländern der EU, in kultureller, demografischer und wirtschaftlicher Hinsicht, wie sich besonders im Zuge der Aufnahme zahlreicher ehemaliger Ostblockstaaten in die Gemeinschaft gezeigt hat. Zum anderen lassen sich auch innerhalb der etablierten EU-Mitgliedsländer große regionale Unterschiede feststellen. Dies zeigt sich unter anderem an einer sehr unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedeutung der Regionen. Die ganze EU nach vorne zu bringen und dabei die schwächeren Regionen beim Aufholen zu unterstützen, ist ein Auftrag des von allen getragenen EU-Vertrages. In der aktuellen Förderperiode von 2007 bis 2013 werden etwa 35 Prozent der gesamten EU-Fördermittel in Höhe von etwa 348 Milliarden Euro für die Angleichung der regionalen Entwicklungsstände verwendet.

European Circle: Und das soll nun in der nächsten Förderperiode ab 2014 verändert werden? 

Friedrich: Ausdrücklich zu begrüßen sind die Vorschläge der Kommission, die Konzentration der Strukturmittel auf die Zukunftsaufgaben der EU durch die EU-weite Vorgabe verbindlicher Investitionsprioritäten und entsprechender Quoten zu flankieren. Die westdeutschen Länder sollen 80 Prozent der Mittel für Energieeffizienz, Erneuerbare Energien sowie für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen ausgeben. Damit wird die Modernisierung von Infrastruktur, Industrie und Wirtschaft unterstützt. 

European Circle: Und wo ist das "Aber"?

Friedrich: Kritisch sehe ich den Ansatz der Kommission, die Auszahlung von Fördermitteln davon abhängig zu machen, ob bestimmte ordnungspolitische und institutionelle Rahmenbedingungen bei uns in den Ländern erfüllt sind. Es macht keinen Sinn, lokale Förderempfänger und EU-Projekte für mögliche Fehler der Bundespolitik haftbar zu machen. Versuche der Kommission, auf diese Weise Einfluss auf Politikfelder zu gewinnen, die außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs liegen, wären die logische Folge.

European Circle: Edmund Stoiber ist seit seinem Ausscheiden aus der deutschen Politik innerhalb der EU-Kommission für den Abbau der Bürokratie zuständig. Kommt das voran? 

Friedrich: In Sachen Verwaltungsvereinfachung und Abbau von Bürokratie bei der Umsetzung der EU-Strukturpolitik bleibt die EU-Kommission weit hinter ihren Ankündigungen zurück. Vor allem die Absicht, die Umsetzungsregeln der EU-Strukturpolitik denen der Agrarpolitik anzugleichen, wird ganz erheblichen, zusätzlichen Verwaltungsaufwand mit sich bringen. Das ist Vereinheitlichung aber nicht Erleichterung. Wir brauchen aber spürbare Entlastungen nicht nur der Fördermittelempfänger, sondern auch der Fördermittelverwaltungen.

European Circle: Wie beurteilen Sie die Beschlüsse des Gipfels von Brüssel am 8. und 9. Dezember 2011 zur Fiskalunion?

Friedrich: Die Verabredungen sind sowohl wirtschaftlich als auch rechtlich nicht ausgereift. Ein Schritt ist gemacht, aber zwei weitere fehlen, damit wir ernsthaft von einer Fiskalunion reden können. Zum einen braucht es eine gemeinsame Konsolidierungspolitik auch auf der Einnahmeseite der Staaten und wir brauchen einen Marshall-Plan für die nicht wettbewerbsfähigen Länder. Selbststrangulation wird die Schuldentragfähigkeit nicht verbessern. Und - das macht die Aufgabe noch schwerer - das ganz in einem rechtlichen Rahmen, der auch trägt und nicht die Einheit Europas gefährdet, zu bringen.

European Circle: Was heißt das?

Friedrich: Es scheint mir nicht klar zu sein, wie der intergouvernementale Vertrag zur Fiskalunion im Verhältnis zum Lissabon-Vertrag steht. Der Gipfel hat hier keine Klarheit gebracht. Vor allem  befürchte ich, dass wir damit mehrere Verträge nebeneinander bekommen und die innerstaatliche Mitwirkung der Parlamente - also von Bundestag und Bundesrat - unterlaufen wird. Ich habe bereits am 16. Dezember 2011 mit Berlin einen Antrag in den Bundesrat eingebracht, in dem wir insbesondere eine Beteiligung des Bundesrates gemäß Art. 23 GG auch für die Umsetzung und Anwendung des Fiskalpakts einfordern.

European Circle: Und dieser Fiskalpakt umfasst dann auch die Steuerpolitik?

Friedrich: Die Probleme der Staatsverschuldung in Europa liegen auf der Ausgaben- und der Einnahmeseite. Wir müssen uns daher fragen, wie generieren wir - das heißt alle EU Länder gemeinsam - mehr Steuereinnahmen? Die Fiskalunion spricht einseitig nur von Ausgabenkürzungen und Sparen. Aber wie kommen die betroffenen Staaten zu mehr Einnahmen? Hier haben wir aber bisher keine Einigung erreicht. Weder bei der Finanztransaktionssteuer noch bei der Körperschaftssteuer noch bei anderen Varianten. Gerade damit könnten die Finanzmärkte gebändigt und auf ein gesünderes Maß geschrumpft werden. Die EU-Finanztransaktionsteuer könnte auch dafür eingesetzt werden, einen europäischen Schuldentilgungsfonds zu bedienen. Damit könnten die Schulden der Mitgliedstaaten auch über Einnahmen aus dieser Steuer getilgt werden, was einen großen Vertrauenszuwachs in die Schuldentragfähigkeit der Länder bringen würde.

European Circle: Was denken Sie über Eurobonds?

Friedrich: Wir wollen definitiv eine Art von Eurobonds, denn die bereits bestehende gemeinsame Haftung soll nicht versteckt werden. Wir haben bereits jetzt eine Transferunion, machen aber waghalsige Konstruktionen um sie zu verstecken, z.B. bei der Zentralbank. Wir brauchen also gemeinsame Fonds, ob das nun Eurobonds sind oder der Europäischer Schuldentilgungsfond ist, lasse ich mal offen. Auf jeden Fall darf eine gemeinsame Haftung nicht durch die Hintertür eingeführt werden, das vergrößert nur wieder das Misstrauen. Der Euro muss auch in Zukunft gelingen. Denn Deutschland wäre sonst der größte Verlierer. 

European Circle: Was bedeuten würde?

Friedrich: …dass die starken Länder für die schwachen eintreten müssten. So wie Deutschland etwa mit dem Marshallplan nach dem Krieg geholfen wurde, müsste jetzt den Schuldenländern geholfen werden.

Das Interview führte Peter Brinkmann.

Quelle:

The European Circle

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