Existenzgründung

Gründer im Südwesten starten durch

Gründerzeit: In Baden-Württemberg setzen jedes Jahr viele tausend Menschen auf die berufliche Selbstständigkeit. Wir waren in der hiesigen Gründerlandschaft unterwegs und haben einige von ihnen getroffen.

Ein sommerlicher Mittwochabend in Stuttgart. Im Außenbereich einer Bar im Stadtzentrum stehen viele junge Menschen mit Getränken in der Hand herum. Der Grill läuft auf Hochtouren, es gibt rote Wurst und gegrillten Schafskäse. Und dazu – stellen Gründer ihre Unternehmen vor. Denn die rund 90 Personen haben sich hier nicht nur zum Essen, Trinken und Quatschen eingefunden. Sie nehmen am „Gründergrillen“ teil, einem alle zwei Monate stattfindenden Netzwerk-Event für angehende oder bereits gegründete Startups. Programmierer, Projektmanager, Gestalter und Unternehmer aus der ganzen Region suchen hier nach Ideen und Gleichgesinnten. Der Schwerpunkt liegt klar auf Internet-Startups.

„Die Gründerszene in der Region Stuttgart ist noch relativ überschaubar und oft verstreut“, sagt Kathleen Fritzsche vom Unternehmen StartUp Stuttgart, das das Gründergrillen und weitere Startup-Events in Stuttgart organisiert. „Besonders in Themen wie E-Commerce ist sie jedoch spezialisiert und sehr innovativ.“ Hinzu komme das große Know-how im Ingenieursbereich in ganz Baden-Württemberg. Das werde dem Land bald einen Vorsprung in allen Hardware-getriebenen Innovationen bescheren, denen weltweit künftig eine entscheidende Rolle zukommen werde. „Wir sind also in einer perfekten Ausgangsposition für Existenzgründungen, deren Entwicklung hier in den letzten zwei Jahren auch schon richtig an Fahrt aufgenommen hat.“, so Fritzsche.

Cleveres Carsharing: Autos nicht rumstehen lassen

Ein bereits erfolgreiches Unternehmen aus der Stuttgarter Gründerszene ist Autonetzer. Die Idee: Über die Online-Plattform können private Fahrzeugbesitzer ihr Auto, wenn sie es selber nicht benötigen, an andere vermieten. „Ich bin ein Stadtmensch und mein Auto ist über die Jahre vom Fahrzeug zum ‚Stehzeug‘ geworden“, sagt Sebastian Ballweg, der das Unternehmen zusammen mit Kompagnon Markus Gößler gegründet hat. „Statt das Auto zu verkaufen kam mir die Idee zu Autonetzer: Kann ich mein Auto nicht Personen in der Nähe zur Verfügung stellen, um so die Unterhaltskosten zu kompensieren?“

Mittlerweile bieten mehrere hundert private Carsharer ihre Fahrzeuge auf der Plattform an. Ein Kleinwagen ist schon ab 15 bis 20 Euro am Tag plus Benzinkosten und einer Versicherungspauschale zu haben. Der Versicherungsschutz ist laut Ballweg und Gößler auch die größte Herausforderung gewesen. „Schon das Autoteilen unter Freunden kann mit einer regulären Versicherung im Desaster enden“, so Ballweg. Zusammen mit einem Versicherer haben die beiden Gründer auch dafür eine Lösung gefunden. Während der Mietzeit sind Fahrzeugbesitzer und Mieter nun durch Haftplicht, Teil- und Vollkasko geschützt.

Gründungsoffensive der Landesregierung

Wie hunderte anderer Existenzgründer aus Baden-Württemberg haben auch die Macher von Autonetzer auf die Innovationsgutscheine der Landesregierung zurückgegriffen. „Das ging erstaunlich unkompliziert“, so Ballweg. Mit den Gutscheinen werden Neugründungen aus verschiedensten Branchen finanziell unterstützt. Die Landesregierung ergänzte das Angebot 2012 um den Innovationsgutschein B Hightech, mit dem Existenzgründungen aus dem Hightech-Bereich mit bis zu 20.000 Euro unterstützt werden. Anfang 2013 kam der Innovationsgutschein C hinzu, mit dem Kleinstunternehmen und Freiberuflern aus der Kreativbranche mit bis zu 5000 Euro unter die Arme gegriffen wird.

Das alles ist Teil der Gründungsoffensive, die die Landesregierung gestartet hat: Mit verbesserter Gründungsberatung, Qualifizierungsangeboten, der Erhöhung des Angebots an Mikrokrediten, der Schaffung eines High-Tech-Wagniskapitalfonds und weiteren Maßnahmen unterstützt sie Unternehmensgründungen, um Baden-Württembergs Ruf als Gründerland neu zu beleben.

Nicht nur in Stuttgart wird eifrig gegründet. Auch in anderen Teilen Baden-Württembergs setzen jedes Jahr zehntausende Existenzgründer auf die Selbstständigkeit. Bemerkenswert im bundesweiten Vergleich ist, dass neugegründete Unternehmen im Südwesten schon nach kurzer Zeit nicht mehr nur aus dem Gründer selbst bestehen, sondern schnell weitere Arbeitsplätze schaffen. Das zeigt: die Qualität der Gründungen in Baden-Württemberg ist hoch. Und laut dem „Gründungsmonitor“ der Kreditanstalt für Wiederaufbau liegt Baden-Württemberg auch bei der Gründungsquote, also der Anzahl der Gründungen im Vergleich zur Einwohnerzahl, bei den Flächenländern auf Platz drei.

Die Tüftler: Automobiltechnik im Fahrrad

Ortswechsel: von der Stuttgarter Innenstadt geht es nach Denkendorf im Landkreis Esslingen. In der Gemeinde am Rand der Filderebene steht die Montagestraße der 2008 gegründeten Firma Pinion. Hier wird eine Fahrradschaltung hergestellt, die in der Fahrradwelt eine mittelgroße Revolution ausgelöst hat.

„Die Kettenschaltung ist eines der störanfälligsten Teile am Fahrrad“, erklärt Michael Schmitz, der Pinion zusammen mit seinem Kollegen Christoph Lermen gegründet hat. Als begeisterte Mountainbiker habe sie sowohl der hohe Wartungsaufwand als auch die Unzuverlässigkeit herkömmlicher Schaltungen gestört. So kamen die zwei auf die Idee, ein völlig neues Fahrradgetriebe zu entwerfen.

Ein aufwendiges Industrieprodukt

Kennengelernt haben sich Lermen und Schmitz bei der Arbeit: Beide waren vor der Gründung in der Getriebeentwicklung bei einem Autobauer tätig. Daher stammt auch das nötige Know-how, mit dem die zwei sich an die Entwicklung der Schaltung machten. „Das war ein ähnlicher Aufwand wie für die Entwicklung eines Autogetriebes“, sagt Schmitz, „denn die Schaltung ist ein aufwendiges Industrieprodukt, das präzise gefertigt werden muss.“ Entsprechend hoch habe das anfängliche Investitionskapital sein müssen. Mit ihrer beruflichen Erfahrung gelang es den beiden aber vergleichsweise leicht, einen Investor für die Firma zu finden.

Das von der modernen Automobiltechnik inspirierte Getriebe befindet sich in einem abgeschlossenen Gehäuse, in dem sich zwei hintereinander geschaltete Zahnradsätze drehen. Es wird zwischen den Pedalen in den Fahrradrahmen eingesetzt. Schmitz‘ und Lermens erstes Modell mit 18 Gängen verbauen Herstellern weltweit in ihre Räder. Einziger Nachteil: Die Pinion-Schaltung kann nicht in herkömmlichen Fahrradrahmen verbaut werden, sondern benötigt speziell für sie angepasste Rahmen.

Feste Größe im globalen Radbau

Auch Lermen und Schmitz haben bei der Gründung mehrere Innovationsgutscheine des Landes in Anspruch genommen, etwa um eine Konzeptstudie für ein elektrisches Getriebe zu erstellen. Unterstützung für die Gründung kam auch von der Uni Stuttgart, die den beiden Ingenieuren bei der Entwicklung mit Präzisionsmessgeräten aushalf.

Mittlerweile hat Pinion schon neun Festangestellte. Für die Zukunft wollen Schmitz und Lermen daran arbeiten, ihre Schaltung als feste Größe im globalen Radbau zu etablieren und dafür auch kostengünstigere Modelle anbieten.

Hochtechnologie: Die beste Hand der Welt

Von den Fahrradtüftlern aus Württemberg geht es weiter nach Baden, genauer nach Weingarten bei Karlsruhe. Hier hat das 2009 gegründete Unternehmen Vincent Systems seinen Sitz. „Wir entwickeln die beste bionische Hand der Welt“, sagt Firmengründer Stefan Schulz nicht ohne Stolz. Die Firma für Medizintechnik hat sich auf die Entwicklung und Herstellung spezieller Handprothesen spezialisiert.

„Patienten, deren Hand oder Finger nur teilweise geschädigt ist, konnten vorher praktisch nicht funktionsgerecht versorgt werden“, sagt Schulz. „Wir sind weltweit die einzige Firma, die Partialhandprothesen baut, die bezüglich Form und Größe der Anatomie der menschlichen Hand entsprechen.“ Von den elektrischen Fingern über die Steuerelektronik bis hin zum Ladesystem ist für die Produkte ein komplexes Zusammenspiel von Mechatronik, Elektronik und Software vonnöten. Schulz bringt dafür 15 Jahre Erfahrung in humanoider Robotik von seiner Zeit am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit. Dort war er als Leiter einer Projektgruppe tätig.

„Unsere Kunden sind von dem Produkt begeistert und sagen uns ‚Das ist die beste Prothese der Welt‘“, so Schulz. „Sie begleiten den Entwicklungsprozess und die klinische Testphase und haben schon viel vorbestellt.“ Die Weingartener stehen mittlerweile vor der Serienreife und exportieren bereits sowohl an deutsche als auch an US-amerikanische Partner. Auch Vincent Systems hat für die Gründung verschiedene Innovationsgutscheine des Landes in Anspruch genommen.

Impulse aus der Gründerlandschaft

Die kleine Reise durch die baden-württembergische Gründerlandschaft zeigt: Innovationen hier im Land werden nicht nur in den Entwicklungsabteilungen der Konzerne oder bei einem der vielen etablierten Mittelständler gemacht. Wichtige Impulse für den Technologie- und Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg kommen auch aus kleinen Tüftlerwerkstätten - oder von Menschen, die einfach eine gute Idee haben, um ein alltägliches Problem zu lösen.

Zurück beim Gründergrillen in Stuttgart. Mittlerweile sind alle satt, und es haben sich kleine Gruppen gebildet, die ihre Ideen für ein Startup teilen oder bereits zusammen an einem neuen Geschäftskonzept werkeln. Ob aus dem heutigen Abend sogar ein neues Unternehmen entstehen wird? Es bleibt spannend in der baden-württembergischen Gründerszene.

Weiterführende Links

Ministerium für Finanzen und Wirtschaft: Innovationsgutscheine
Ministerium für Finanzen und Wirtschaft: Initiative für Existenzgründung und Unternehmensnachfolge
Vincent Systems
Pinion
Autonetzer
Startup Stuttgart: Gründergrillen
Gründergrillen am KIT

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