Interview

„Jedes Talent bekommt ein adäquates Bildungsangebot“

Flüchtlinge in einem Kurs. (Bild: Carmen Jaspersen /dpa)

Um den Geflüchteten im Land den Zugang zu den Hochschulen zu erleichtern, hat das Wissenschaftsministerium diverse Förderungen aufgelegt. Gleichzeitig wird auf diesem Bildungsweg auch die Integration vorangebracht. „Ohne das Engagement der vielen Ehrenamtlichen“, betont Ministerin Theresia Bauer, „wäre der Beitrag der Landesregierung zur Integration von Geflüchteten in die Bildungsstrukturen nicht denkbar.“ 

Frau Bauer, viele der Flüchtlinge im Land bringen besondere Talente und Ausbildungen mit. Wie können diese Menschen gefördert werden?

Wissenschaftsministerin Theresia Bauer: Entscheidend ist, dass wir schnell mitbekommen, mit welchen Kompetenzen, Fähigkeiten und Talenten sie zu uns gekommen sind. Frühe Kompetenzerhebungen und Potentialanalysen sind ganz wichtig. Die Vielfalt der in unserem Land vorhandenen Qualifizierungsmöglichkeiten gibt uns die Chance, jedem Talent ein adäquates Bildungs- und Qualifizierungsangebot zu unterbreiten, bis hin zum Studium. Oft sind vorbereitende Maßnahmen nötig, vor allem Sprachkurse. Diese Anlaufphase verlangt den geflüchteten Menschen auch eine Menge Ausdauer ab. Am Ende aber wird diese Ausdauer durch eine gelungene Integration belohnt werden.

Zusammen mit dem Arbeitgeberverband Südwestmetall finanziert das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst besonders begabte Flüchtlinge aus Syrien, um sie bei der Aufnahme oder Fortführung eines Studiums an einer Hochschule im Land zu unterstützen. Wie ist die Nachfrage nach diesem Angebot und wie läuft das Auswahlverfahren?

Bauer: In der nunmehr zweiten Ausschreibungsrunde für unser Baden-Württemberg-Programm zur Studienförderung von Geflüchteten aus Syrien lagen über 350 Bewerbungen vor. 84 Bewerberinnen und Bewerber wurden im Juni 2016 zu einem Auswahlgespräch nach Stuttgart eingeladen. 41 davon haben wir im Anschluss an den Auswahlprozess in die Förderung aufgenommen. 15 der 41 Geförderten studieren bereits an einer Hochschule in Baden-Württemberg, wobei der Anteil der MINT-Fächer vergleichsweise hoch ist. 26 Stipendiatinnen und Stipendiaten befinden sich gegenwärtig noch in Sprachkursen und beabsichtigen, das Studium spätestens im Wintersemester 2017/18 aufzunehmen.

Welche Erfahrungen haben Sie bisher mit diesem Förderprogramm gemacht?

Bauer: Südwestmetall fördert fünf Stipendiatinnen und Stipendiaten, aber der Arbeitgeberverband hat auch Partner aus dem Kreis seiner Mitgliedsunternehmen für eine Beteiligung an dem Programm gewinnen können. Die Robert Bosch GmbH, die MAHLE GmbH, die Marquardt GmbH sowie die STIHL Holding AG & Co. KG fördern zusammen sechs Stipendiatinnen und Stipendiaten. Nicht zu vergessen die Carl-Zeiss-Stiftung, die drei weitere Geflüchtete im Programm fördern. Unsere gemeinsamen Erfahrungen mit dem Programm sind insgesamt sehr positiv. Die Stipendiaten sind sehr zielstrebig, sodass wir davon ausgehen, dass bald alle 41 Geförderte ihr Studium an einer baden-württembergischen Hochschule aufnehmen werden.

Wie beurteilen Sie im Allgemeinen das Bildungsniveau der Flüchtlinge, die in Baden-Württemberg angekommen sind?

Bauer: Wir wissen aus verschiedenen Studien des BAMF beziehungsweise des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass die Bandbreite der mitgebrachten Qualifikationen sehr groß ist. Und es ist aus allen Studien ebenfalls erkennbar, dass auch Baden-Württemberg gut bis sehr gut qualifizierte Geflüchtete aufgenommen hat. Dieser Gruppe stehen alle Möglichkeiten selbtsverständlich zur Verfügung, die unser Ausbildungs- und Hochschulsystem bieten kann. Das reicht von der dualen Ausbildung bis hin zum Studium.
Bilden wir die Flüchtlinge zu Fachkräften für Deutschland aus - oder qualifizieren wir Rückkehrer?
Theresia Bauer: Das eine Tun heißt nicht das andere auszuschließen: Jeder und jede sollte entsprechend seiner Talente und Vorbildung hier eine Chance erhalten, sich weiter zu qualifizieren. Wenn es am Ende die Umstände erlauben, dass hier ausgebildete Geflüchtete in ihre Heimat zurückkehren und zur Weiterentwicklung ihres Landes beitragen können, dann ist das auch ein Erfolg.

Wie kann es gelingen, dass sie auch auf unserem Arbeitsmarkt zu gefragten und hoch qualifizierten Fachkräften werden?

Bauer: Das Wissenschaftsministerium hat vor allem mit den beiden Runden der Stipendienausschreibungen und dem Baden-Württemberg-Programm zur Studienförderung von Geflüchteten aus Syrien die Integration über das Hochschulsystem vorangebracht. Wir sehen aber auch, dass eine individuelle Beratung und Begleitung der einzelnen Geflüchteten von entscheidender Bedeutung für den Erfolg sind. Daher hat jede Hochschule im Land eine Ansprechperson für Geflüchtete benannt. Die Übersicht über diese Ansprechpartner können alle Interessierten auf der Website des Wissenschaftsministeriums einsehen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Hochschulen waren und sind hier mit beeindruckendem Engagement aktiv. Für jeden Außenstehenden sind die unterschiedlichen Angebote für die berufliche Qualifikation und die rechtlichen Fragestellungen sehr komplex. Dieser Tatsache begegnet nicht nur das Hochschulsystem mit Beratungs- und Betreuungsangeboten. Ein weiteres Beispiel für Beratungen sind die „Kümmerer“, die vom Wirtschaftsministerium gefördert werden.

Überall im Land engagieren sich Ehrenamtliche und Initiativen im Bereich der Flüchtlingshilfe. Unter den guten und beispielhaften Projekten sind auch viele aus dem kulturellen Bereich. So hat etwa der Verein Zuflucht Kultur einige Opern mit Flüchtlingen auf die Bühne gebracht und einen syrischen Flüchtlingschor initiiert. Und es gibt etliche weitere Beispiele. Welche Rolle kann und muss die Kultur bei der Integration von Menschen aus einem anderen Kulturkreis spielen?

Bauer: Ohne das umfangreiche Engagement der vielen Ehrenamtlichen wäre der Beitrag der Landesregierung zur Integration von Geflüchteten aus Syrien in die Bildungsstrukturen unseres Landes nicht denkbar. Daher sind wir sehr dankbar für die großartige Unterstützung, die viele Geflüchtete durch ehrenamtlich engagierte Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württemberg erfahren. So helfen die Ehrenamtlichen unseren Stipendiatinnen und Stipendiaten beispielsweise bei Behördengängen, beim Ausfüllen von Formularen und beim Zurechtfinden in unserem Land. Auch die ehrenamtlichen Angebote im Kulturbereich sind unersetzlich. Diesen Menschen sind wir zutiefst zu Dank verpflichtet. Das Ehrenamt ist aber nicht erst durch die aktuelle Situation bedeutsam geworden. Die vielen Freiwilligen haben schon immer einen wichtigen und essentiellen Beitrag für die gelungene Integration von Neuangekommenen geleistet. Das Engagement hat sich jedoch dem Bedarf entsprechend nochmals enorm gesteigert. Es ist schön zu sehen, wie hilfsbereit unser Land auch in dieser Hinsicht ist.

Sie hatten zuletzt mehrere Begegnungen mit der Jesidin Nadia Murad, die als eines von tausend IS-Opfern über das Sonderkontingent der Landesregierung nach Baden-Württemberg gekommen ist und zwischenzeitlich für ihr Engagement für die Frauen in ihrer Heimat mit einigen Preisen bedacht wurde. Was haben Sie mitgenommen von den Begegnungen mit ihr?

Bauer: Sie ist eine enorm starke und beeindruckende Persönlichkeit. Als UN-Sonderbotschafterin für Opfer des Menschenhandels spricht sie auf der ganzen Welt in Parlamenten, mit Regierungen und der Öffentlichkeit, um auf das Schicksal der immer noch gefangenen Jesidinnen aufmerksam zu machen und um Hilfe zu bitten. Nach all dem, was sie erlebt hat, ist das wirklich ein unglaublicher Kraftakt. 

Unter der Federführung des Wissenschaftsministeriums wird das Land nun gemeinsam mit der Universität Dohuk ein Institut für Psychotherapie im Nordirak aufbauen. Ist dieses Engagement eine unmittelbare Folge der Begegnungen mit den Opfern und was versprechen Sie sich davon?

Bauer: Das Land Baden-Württemberg hat als Akt humanitärer Hilfe ein Sonderkontingent besonders schutzbedürftiger Frauen und Kinder aufgenommen und therapeutische Behandlung für die Betroffenen ermöglicht. 1.000 Betroffene konnten nach Baden-Württemberg ausgeflogen und betreut werden. Von Anfang an gehörte es zum Konzept des Sonderkontingents, neben der schnellen Nothilfe für besonders Schutzbedürftige auch einen strategischen und perspektivischen Beitrag zur Minderung von Fluchtursachen zu leisten. Dies und die Stabilisierung der Aufnahmeregionen wird zukünftig das primäre Ziel der Aktivitäten in der Partnerregion Dohuk sein. Das kann aber nur gelingen, wenn die Situation der Geflüchteten vor Ort verbessert wird. Hier setzt das Projekt zur Ausbildung von Therapeuten und künftigen Ausbildern im Nordirak an. Auch wenn es bereits erste Ansätze für die Ausbildung der im Nordirak ansässigen Psychologen zu Psychotherapeuten durch ausländische Experten gibt, reicht die Zahl der dort ausgebildeten Therapeuten bei weitem nicht aus, um den Bedarf an psychologischer Betreuung und Traumatherapie in den Flüchtlingscamps annähernd zu decken. Dies gilt zumal, weil neben den medizinisch-psychologischen Anforderungen auch die ethnischen und kulturellen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden müssen, um langfristige Erfolge erzielen zu können.

Und wie kann dieser Erfolg nachhaltig gelingen? 

Bauer: Anders als in den bisherigen Projekten wollen wir nicht nur Ärzte, Psychologen, Lehrkräfte und Sozialarbeiter zu Traumatherapeuten ausbilden, sondern es soll eine Infrastruktur an der Universität Dohuk aufgebaut werden, damit die Region zukünftig in der Lage ist, ihre Bedarfe an Traumatherapeuten eigenständig zu decken. Durch die transkulturellen Therapieansätze ist zudem auch ein Nutzen auf beiden Seiten gegeben. Neben den Therapiemethoden, die die Studierenden durch die Expertise aus Baden-Württemberg erhalten, können die beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Baden-Württemberg transkulturelle Erfahrungen machen, die ihnen in der Traumatherapie der in Baden-Württemberg lebenden Zugewanderten aus dieser Region dienlich sein werden. Diese gewonnen Erkenntnisse werden zudem auch in den Unterricht der baden-württembergischen Lehrenden münden.

Wo sehen Sie momentan noch den größten Handlungsbedarf bei der Integration von Flüchtlingen?

Bauer: Es ist sicherlich keine Überraschung, dass nach wie vor die sprachliche Qualifizierung die größte Herausforderung darstellt. Aber ohne Sprache bleibt Integration Stückwerk. Auch ist und bleibt die sprachliche Qualifikation der entscheidende Punkt für die Arbeitsmarktintegration. Mit der deutschen Sprache stehen jedem Geflüchteten alle Möglichkeiten offen, die unser Land zur Verfügung stellt.

Eine Botschaft der Wissenschaftsministerin zum Abschluss?

Bauer: Unser Ziel muss bleiben: Den Menschen hier eine neue Heimat geben und ihnen umfassende Teilhabe an unserer Gesellschaft ermöglichen.

Das Interview führte Markus Heffner.

fluechtlingshilfe-bw.de für die engagierte Zivilgesellschaft

Quelle:

fluechtlingshilfe-bw.de

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