Interview

„Auch Bosch war mal ein kleines Start-up“

Nicole Hoffmeister-Kraut, Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau (Bild: dpa)

Auch eine so etablierte und weit über Deutschlands Grenzen hinaus erfolgreiche Wirtschaft wie die baden-württembergische benötigt Start-ups und mutige Firmengründer. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut spricht im Interview mit der Schwäbischen Zeitung über die Gründerszene im Südwesten.

Frau Ministerin, hat Baden-Württemberg eigentlich genügend Start-ups?

Nicole Hoffmeister-Kraut: Wenn man nur auf die Zahlen schaut, spielt der Südwesten bei Start-ups im Moment keine so bedeutende Rolle, wie ich es mir wünsche. Das gibt mir natürlich zu denken.

Was sind die Gründe dafür?

Hoffmeister-Kraut: Das liegt nicht zuletzt an der starken industriellen Basis in Baden-Württemberg. Unsere Wirtschaft läuft sehr gut – da gibt es viele Chancen, spannende Perspektiven in einem Angestelltenverhältnis zu verwirklichen. Es ist jetzt die Aufgabe des Landes, Förderinitiativen auf den Weg zu bringen, um mehr Menschen zu motivieren, sich selbstständig zu machen und ihre eigenen Ideen auf diesem Weg zu entwickeln.

Warum braucht Baden-Württemberg überhaupt Start-ups, neue Gründer und neue Unternehmen?

Hoffmeister-Kraut: Gründer sind der Nukleus unserer erfolgreichen wirtschaftlichen Situation. Tüftler und Entwickler – nicht nur unsere Großen wie Carl Benz oder Robert Bosch – haben den Grundstein gelegt für viele mittelständische oder große Unternehmen, die heute in der dritten, vierten, fünften Generation geführt werden. Das waren alle mal Start-ups, die eine revolutionäre Idee hatten, diese in ein Produkt gepackt und das Produkt dann auf den Markt gebracht haben. Eine rege Gründerszene ist Garant für eine zukunftsträchtige Entwicklung einer Region.

Baden-Württemberg braucht also revolutionäre Ideen...

Hoffmeister-Kraut: Genau – schließlich kommt durch die Digitalisierung eine ganz andere Dynamik in die Prozesse. Der Druck auf viele klassische Branchen – sei es durch Uber in der Mobilität oder Airbnb im Hotelgewerbe – wird immer größer. Man muss das Wissen aus anderen Bereichen viel stärker in die eigenen Branchen einfließen lassen. In anderen Regionen der Welt, im Silicon Valley, in Israel geschieht das schon. Da werden neue Technologien entwickelt, die auch hier in Baden-Württemberg traditionelle Geschäftsmodelle umkrempeln werden. Da müssen wir mitspielen. Dieses Potential müssen wir auch in Baden-Württemberg nutzen.

Sie wollen also die Unternehmen dabei unterstützen, dass sie überleben, wenn sich ihre Märkte und ihre Branchen ändern.

Hoffmeister-Kraut: Unsere großen Unternehmen haben sich ja schon auf den Weg gemacht. Viele Konzerne wie zum Beispiel SAP scannen seit Jahren die Start-up-Szene überall auf der Welt auf der Suche nach Ideen, die sie für sich nutzen können, um neue Technologien oder auch neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Wollen Sie nur etablierte Konzerne auf ihrem Innovationsweg unterstützen oder sollen auch neue Unternehmen entstehen, die die alten verdrängen?

Hoffmeister-Kraut: Es geht um beides: Wir wollen die ‚Old Economy‘ zukunftsfähig machen und gleichzeitig junge Unternehmen mit neuen, innovativen Ideen etablieren helfen. Unternehmen wie Google und Amazon sind noch nicht alt, haben aber in kurzer Zeit eine enorme Marktmacht aufgebaut.

Das nächste Google soll also gefälligst in Baden-Württemberg entstehen – und nicht irgendwo anders auf der Welt.

Hoffmeister-Kraut: So ist es. Zumindest müssen wir für solche Ansiedlungen oder Gründungen attraktiver werden. Im Moment entsteht im Hightech- oder Software-Bereich vieles eben nicht bei uns. Darauf müssen wir aber unseren Fokus legen. Noch wichtiger ist die Zukunft der Mobilität – da drängen immer neue Spieler in den Markt und verändern die Branche. Wir müssen die Industrie unterstützen, dass das Auto noch einmal hier in Baden-Württemberg neu erfunden wird.

Werden also Nerds an ihren Laptops den Mercedes noch einmal erdenken?

Hoffmeister-Kraut: Nein, jedenfalls nicht allein. Denn Start-ups brauchen auch Partner, um ihre Ideen weiterzuentwickeln – und genau dieses Potenzial haben wir in Baden-Württemberg und das müssen wir mehr in den Vordergrund stellen. Start-ups brauchen Partner, was Vertriebsstrukturen, was Kundenstrukturen angeht. Viele Gründer haben großes Interesse, mit Unternehmen hier in Baden-Württemberg zu kooperieren. Ein Beispiel ist GreenIQ, ein Start-up aus Israel für vernetzte Gartenprodukte, an dem inzwischen Stihl beteiligt ist. Ohne einen Partner hätte sich diese Firma nicht weiterentwickeln können. Wir versuchen also jetzt eine Atmosphäre zu schaffen, um noch mehr solcher Aktivitäten in Baden-Württemberg zu fördern.

In welchen Branchen brauchen wir mehr Start-ups?

Hoffmeister-Kraut: Im Maschinenbau, der zu unseren Kernkompetenzen gehört. Dann natürlich in der Autoindustrie. Die Mobilität wird gerade neu gedacht, das Produkt Auto entwickelt sich hin zur Dienstleistung Mobilität. Aber ich denke auch an die Bauwirtschaft, an die Finanzbranche, an die Pharmaindustrie, die Medizintechnik. Alle diese Branchen verändern sich durch die Digitalisierung grundlegend. Es ist notwendig, dass man die Entwicklung, die im Moment in der Start-up-Szene abläuft, noch stärker hier vor Ort fördert und Kontakte vor allem auch zu mittelständischen Unternehmen herstellt.

Gibt es das ominöse Generation-Y-Problem, dass nämlich jüngere Menschen gar keine Lust haben, ein Unternehmen zu gründen und Verantwortung zu übernehmen, sondern lieber einen Acht-Stunden-Tag wollen, um den Rest der Zeit mit der Familie zu verbringen?

Hoffmeister-Kraut: Ob es ein Problem ist, sei dahingestellt. Fakt ist aber, dass viele Berufsanfänger oder Jüngere im Berufsleben heute Wert auf Sicherheit und eine ausgewogene Work-Life-Balance legen. Zudem möchten viele lieber im öffentlichen Dienst oder bei großen Unternehmen arbeiten als in kleineren Unternehmen oder Start-ups. Auf der anderen Seite haben wir in unseren großen Industrieunternehmen derzeit einen großen Bedarf an Fachkräften. Diese Jobs versprechen natürlich eine gewisse Sicherheit, und sie werden nachgefragt. Man muss das natürlich auch immer vor dem Hintergrund sehen, dass durch die modernen Technologien, also E-Mail, Handy, WhatsApp, Informationen intensiver auf jeden einströmen und sich Arbeitswelt und private Welt vermischen. Als Selbständiger kann man hier sicher noch weniger das eine vom anderen trennen.

Befördert die moderne Technik den Trend, sich gegen ein Leben als Unternehmer zu entscheiden?

Hoffmeister-Kraut: Nein, aber Dinge wie Work-Life-Balance werden jetzt stärker thematisiert als früher. Und die moderne Technik ermöglicht es, aus dem privaten Raum heraus zu arbeiten, das war früher anders. Heute ist es ja oft so, dass man abends noch vor dem Handy sitzt und E-Mails liest und beantwortet. Das war früher nicht so. Und deswegen muss man auch immer wieder gewisse Zeiten definieren, in denen man nicht erreichbar ist. Verschiedene Studien zeigen uns, dass Studierende und Absolventen mit Blick auf ihren Start ins Berufsleben sehr viel Wert auf Jobsicherheit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie legen, wie das beispielsweise der öffentliche Dienst bietet. Das hat natürlich auch Einfluss auf die Zahl der Gründungen und auf die Bereitschaft, ein Risiko zu übernehmen.

Wie können Sie da gegensteuern?

Hoffmeister-Kraut: Wir starten gezielt Programme: Die kürzlich vorgestellte Mikrofinanzierung für Kleinstgründungen ist eines davon: Damit wollen wir Ideen in ihrer Entstehungsphase unterstützen und ein unkompliziertes Angebot schaffen, bei dem das Risiko überschaubar ist. Wir fördern in der Breite, dabei ist klar, dass es nicht alle schaffen werden. Tun wir das aber nicht, bringen wir die Start-ups, die eine Zukunftsperspektive haben, nicht so weit, dass sie in eine weitere Finanzierungsphase eintreten können. Und wir werden sehr zeitnah einen neuen Venture-Capital-Fonds auflegen. Unser Ziel ist ein Fondsvolumen von 50 Millionen Euro.

Nicht alle Start-ups werden es schaffen, ist es vielleicht diese Gefahr, die viele Gründer zögern lässt? An Deutschland wird immer wieder kritisiert, dass es keine Kultur des Scheiterns gibt, dass Leute, die eine Idee in den Sand setzen, verbrannt sind.

Hoffmeister-Kraut: Das ist ein Thema, ja. In Israel beispielsweise wird Menschen vermittelt, dass es großartig ist, dass sie sich überhaupt trauen. Erfahrene Venture-Capital-Investoren bauen auch darauf, dass Gründer neben ihrer Idee Erfahrungen mitbringen – und dazu gehört auch das Scheitern. Für sie ist das absolut kein Ausschlusskriterium. Ein zweiter Punkt ist, dass wir in Baden-Württemberg in vielen Bereichen auch Perfektionisten sind. Israelis fangen an, wenn sie 50 Prozent der Informationen haben. Und dann wird im Prozess nachjustiert. Wir wollen bis ins letzte Detail Planungssicherheit haben. Da müssen wir mutiger werden.

Muss sich die Ausbildung ändern, damit sich mehr Leute eines Ausbildungsjahrgangs selbstständig machen?

Hoffmeister-Kraut: Daran arbeiten wir. Wir haben in den Schulen das Fach Berufsorientierung eingeführt. Außerdem gibt es die sogenannten Schülerfirmen, bei den Schüler im Unterricht ein Unternehmen nachbilden. Das wichtigste, was wir im Bereich Ausbildung machen müssen, ist allerdings die Sensibilisierung auf die Tatsache, dass die Digitalisierung einfach alles grundlegend verändert. Wir müssen jungen Menschen klar machen, dass diese Veränderung enormes Potenzial in sich birgt – und wir müssen IT-Fachleute, Elektrotechniker, Ingenieure gewinnen, damit sie diesen Wandel gestalten.

Die großen Konzerne scheinen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben: Der Autozulieferer ZF hat Zukunft Ventures gegründet, das Medizintechnikunternehmen Aesculap sein Werk 39, der Baumaschinenhändler Zeppelin das Z-Lab – alles Gesellschaften, die sich unter anderem um Beteiligungen, Start-ups und neue Ideen kümmern sollen. Sind die kleineren Mittelständler denn auch schon so weit?

Hoffmeister-Kraut: Wir müssen den Mittelstand verstärkt für diese Themen öffnen. Das ist richtig. Und das ist eine Aufgabe der Landespolitik, des Wirtschaftsministeriums, also meine Aufgabe. Wir müssen unsere eigene Start-up-Szene generieren. Adressaten dieser Vorstöße werden auch die vielen Spin-offs sein, also Ausgründungen aus Unternehmen oder Hochschulen. Mit diesen Initiativen werden wir in die Fläche gehen, damit auch der Mittelstand jenseits der Zentren einbezogen ist.

Die Vernetzung der Protagonisten ist eine Sache, die Hilfe durch kompetente Beratung eine andere – Gründer brauchen aber am allermeisten eine Finanzierung, die ihre Ideen absichert. Was tut Baden-Württemberg da?

Hoffmeister-Kraut: Gerade haben wir eine Konzept zur Mikrofinanzierung ins Leben gerufen, mit dem Gründer mit einem Kapitalbedarf von weniger als 25 000 Euro sich um Kapital bewerben und gleichzeitig ihre Idee am Markt bei potenziellen Kunden prüfen können. Dazu kommt ein Risikokapitalfonds mit Mitteln der Landesregierung, der gezielt Ideen aus Baden-Württemberg fördern soll. Weitere Maßnahme werden wir bei einem Gründergipfel am 14. Juli vorstellen.

Was kostet dies das Land im Jahr?

Hoffmeister-Kraut: Wir stellen Mittel in zweistelliger Millionenhöhe dafür zur Verfügung. Das ist aber nicht die primäre Frage. Wir sehen das als Wirtschaftsförderung bei uns im Land. Das ist unsere Aufgabe. Wenn sich Start-up-Unternehmen entsprechend weiterentwickeln, schaffen sie Arbeitsplätze, Beschäftigung und damit Wohlstand und Steuereinnahmen. Man muss immer den gesamten Prozess im Blick haben.

Die Fragen stellte Benjamin Wagner.

Quelle:

Das Interview ist am 1. Juni 2017 in der Schwäbischen Zeitung erschienen.

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