Interview

Haushaltssanierung ist ein steiniger Weg

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bild: dpa).

„Sparen ist Kärrnerarbeit“, macht Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten deutlich. Seine Regierung gehe den steinigen Weg der Haushaltssanierung. „Die Schuldenbremse ist für mich eine Gegebenheit wie die Alpen. Wenn man nach Italien will, muss man drüber.“

Stuttgarter Nachrichten: Herr Ministerpräsident, sind Sie urlaubsreif?

Winfried Kretschmann: Ja.

Erwin Teufel, einer Ihrer Vorgänger, gab Ihnen den Ratschlag, mindestens drei Wochen Urlaub zu machen. Wie lang verreisen Sie?

Kretschmann: Zwei Wochen. Eine am Anfang und eine am Ende der Ferien. Die erste Woche ist ein Familienurlaub bei meiner Tochter, die Lehrerin in Schottland ist. In der zweiten Woche gehe ich dann nach Griechenland in ein einsames Strandhaus. Das wird dann eher ein Lese- und Nachdenkurlaub.

Sie haben in diesem Jahr noch die zusätzliche Belastung als Bundesratspräsident. Wie sehr schlauchen Sie Ihre Ämter?

Kretschmann: Die Bundesratspräsidentschaft bringt meinen Terminkalender – er ist mein heimlicher Herr und Gebieter – schon an Grenzen.

Manche sagen, Sie seien dünnhäutiger geworden . . .

Kretschmann: Das halte ich für übertrieben. Aber es gibt schon mal Situationen, in denen man dünnhäutig reagiert. Man hat ja auch mal eine Energiemulde.

Wollen Sie überhaupt Kritik hören?

Kretschmann: Kritik ist die Grundlage jeder modernen Gesellschaft. Wenn man das als Politiker nicht mehr erträgt, ist man abdankungsreif. Wenn ich die Opposition betrachte, würde ich mir allerdings wünschen, dass sie etwas präziser und sachorientierter ist. Einfach zu sagen „Spart mehr und spart schneller“, finde ich ein bisschen dürftig.

Die Opposition sagt „Spart überhaupt!“ Da hat sich bisher nicht viel bewegt.

Kretschmann: Ich bitte Sie! Wir haben 2011 eine Haushaltslücke von zweieinhalb Milliarden Euro von diesen Kritikern geerbt, jetzt ist sie bei 1,8 Milliarden – 870 Millionen weniger.

Der Rechnungshof beziffert die notwendigen Einsparungen auf 30 000 Beamtenstellen bis 2020. Wie soll das gehen?

Kretschmann: Gar nicht. Das ist, mit Verlaub, ein theoretisches Rechenmodell. 30.000 Stellen einzusparen, ist in der Praxis nicht zu machen. Wir werden unser Sparziel mit einem Maßnahmenmix von Stelleneinsparungen, Reduzierung von Aufgaben und Sachmitteln und der Hebung von Effizienzrenditen in der Verwaltung erreichen.

Sie haben aber nun mal die Verfassungsvorgabe der Schuldenbremse, müssen also sparen. Wo soll das passieren? Kommt irgendwann der große Befreiungsschlag?

Kretschmann: Nein, es gibt nicht die ganz großen Posten. Sparen ist Kärrnerarbeit. Wir werden deshalb Orientierungspläne vorlegen, die für jedes Ressort die Größenordnung der Sparanstrengung vorgeben. Bis Ende August wird das Einsparvolumen für die Jahre 2015 und 2016 beziffert. Außerdem müssen wir die Einnahmen erhöhen. Deshalb treten SPD und Grüne für Steuererhöhungen ein. Denn Sie dürfen nicht vergessen, dass wir einen riesigen Sanierungsstau haben. Beispiel Hochwasserschutz: Obwohl wir die Ausgaben verdoppeln, dauert es bis 2030, bis wir das Notwendige abgearbeitet haben. Beim Hochschulbau, bei den Krankenhäusern, bei den Landesstraßen, bei der Kleinkindbetreuung – überall dasselbe Bild. Ich höre Wünsche, und viele davon sind außerordentlich berechtigt. Wir müssen also investieren, sanieren und konsolidieren.
 
Muss man sich von der Schuldenbremse gedanklich verabschieden?

Kretschmann: In keiner Weise. Ich habe ja selbst mit dafür gesorgt, dass sie ins Grundgesetz kommt, und stehe da voll dahinter.

Ihnen schlägt aber selbst bei kleineren Einsparsummen, wie jetzt bei den Musikhochschulen, massive Kritik entgegen.

Kretschmann: Die Schuldenbremse steht in der Verfassung, das ist für mich eine Gegebenheit wie die Alpen. Wenn man nach Italien will, muss man drüber. Aber das Beispiel der Musikhochschulen zeigt: Das ist ein steiniger Weg, da muss man sogar bei kleineren Einsparungen mit deftiger Kritik rechnen. Da reagiere ich dann vielleicht einmal dünnhäutig, wenn Leute auf sehr hohem Niveau jammern.

Wann ist das?

Kretschmann: Wenn man etwa die Pensionen für Beamte anschaut, entwickeln die sich besser als die Renten. Da läuft etwas auseinander. Deshalb sehe ich erstmal keinen Grund, dass die Beamtenverbände schon bei relativ bescheidenen Eingriffen einen Protest veranstalten, der in keinem Verhältnis dazu steht, was die Landesregierung macht. Jeder, der vernünftig denkt, muss doch einsehen, dass man bei 43 Prozent Personalkosten den Haushalt nicht am Personal vorbeisanieren kann.

Ist der Beamtenbund auf dem Holzweg?

Kretschmann: Ihm fehlt manchmal das richtige Maß. Dass er seine Interessen verteidigt, ist ganz normal, aber er sollte nicht nur an die Beamten denken, die gerade da sind, sondern auch an diejenigen, die kommen. Der Beamtenbund kümmert sich eher um die, die schon im Zug sitzen, als um die, die erst in den Zug einsteigen werden. Wir wollen aber, dass unsere Beamten auch in 20 Jahren noch eine auskömmliche Besoldung haben.

Können Sie beim Sparen noch Rücksicht auf die dezentrale Struktur des Landes nehmen und das Geld weiter mit der Gießkanne verteilen?

Kretschmann: Es ist eine große Stärke dieses Landes, dass es nicht ein Zentrum hat, sondern viele Zentren. Das werden wir mit Sicherheit nicht antasten. Aber innerhalb der Regionen wird es zu gewissen Konzentrationen kommen. Wir können zum Beispiel keine Kleinstschulen erhalten. Die Konzentration muss allerdings so erfolgen, dass man zum Schluss nicht nur noch in Städten weiterführende Schulen hat.

Kann man Kleinsthochschulen erhalten?

Kretschmann: Natürlich nicht. Die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hat gerade einer privaten Kleinsthochschule die staatliche Anerkennung entzogen. Das Land betreibt bisher keine Kleinsthochschule. Aber der Zeitpunkt kann irgendwann kommen.

Bei der SPD gibt es Stimmen, die fordern, dass jetzt mal die grünen Ministerien sparen sollen. Das SPD-geführte Kultusministerium spare bis 2020 ja schon 11600 Lehrerstellen ein . . .

Kretschmann: Vor solchen Debatten kann ich nur warnen. Es kommt darauf an, sachgerecht zu sparen. Schauen Sie sich das Wissenschaftsministerium an; es ist zwar grün geführt. Der Grund, warum wir in der Forschung nicht sparen, hat aber nichts mit den Grünen zu tun, sondern damit, im globalen Wettbewerb standhalten zu können. Forschung und Entwicklung sind elementar für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen.

Sie regieren seit zweieinhalb Jahren. Jetzt ist Halbzeit. Sind Sie zufrieden mit dem, was Sie erreicht haben?

Kretschmann: Ich bin sogar sehr zufrieden. Warum sind wir gewählt worden? Weil die alte Regierung bestimmte Dinge nicht angepackt hat: die Konsolidierung des Haushalts, die Energiewende oder den Bildungserfolg von der Herkunft der Kinder zu entkoppeln. Wir regieren ja nicht einfach weiter. Grundlegende Reformen anzugehen, braucht Zeit. Eine wirkliche Änderung des Schulsystems will vorbereitet sein, das macht man nicht mal auf die Schnelle. Hinzu kommt ein dramatischer Rückgang der Schülerzahl. Deshalb die regionale Schulentwicklung, also die Konzentration von Schulen. Mit der zweiten Halbzeit dieser ersten Regierungsperiode beginnt die Phase der Umsetzung.
 
Dass es im Regierungsgetriebe auch knirscht, ist nicht zu überhören . . .

Kretschmann: Manchmal läuft’s nicht rund, das gebe ich zu. Dass wir eine Kultusministerin verloren haben, ist dafür ja schon ein unbestreitbarer Hinweis. Aber, wir packen die Großreformen an: Schule, Haushaltskonsolidierung, Energie, Bürgerbeteiligung.

Bei der Windenergie ist bisher nicht viel davon zu sehen.

Kretschmann: Man kann eine Blockade so schnell nicht lösen. Da steckt der Teufel oft im Detail. Sie brauchen zum Beispiel ornithologische Gutachten, sonst kommen Sie sofort mit dem Naturschutzgesetz in Konflikt. Aber wir sind auf einem guten Weg. Lassen Sie mich mal spicken (blickt in die Unterlagen): 4.100 Windkraftanlagen sind möglich, etwa 1.100 wollen wir bauen, es liegen 300 Bauanfragen vor, 60 sind in der Genehmigung. Also, es läuft an, und wir sind zuversichtlich, dass es zu einem Investitionsschub kommt.

Wo wollen Sie in der zweiten Hälfte Ihrer Regierungszeit Tempo machen?

Kretschmann: Wir haben vom Koalitionsvertrag schon sehr viel abgearbeitet, die Dinge müssen seriös umgesetzt werden. Wo Tempo notwendig wäre, ist bei der Energiewende. Aber das liegt eher an der Bundesregierung.

Wollen Sie bei der Landtagswahl 2016 nochmals antreten, weil Ihre Großvorhaben so lange dauern?

Kretschmann: Ja, das kann man so sehen. Grundsätzlich sind zwei Legislaturperioden schon ein Zeitrahmen, um Dinge nicht nur anzuschieben, sondern auch dauerhaft umzusetzen. Die Schulreform zum Beispiel braucht einfach Zeit, bis sie richtig steht.

Treten Sie 2016 für die gesamte Legislaturperiode an?

Kretschmann: Wenn man antritt, dann immer für die ganze Periode. Man muss natürlich gesund sein und die Kraft dazu haben. Aber darüber zerbreche ich mir jetzt noch nicht den Kopf.

Quelle:

Stuttgarter Nachrichten
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