Interview

"Bei uns findet sich alles, was man für die Zukunft des Automobils braucht"

Porträtfoto von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung spricht sich Ministerpräsident Kretschmann für umweltfreundlichere Autos aus. „Bei uns findet sich konzentriert alles, was man für die Zukunft des Automobils braucht“, betont Kretschmann mit Blick auf die baden-württembergische Bewerbung für das Schaufensterprojekt der Bundesinitiative „Nationale Plattform Elektromobilität“.

SZ: Herr Kretschmann, jetzt, da Sie ein Autoland regieren: Haben Sie eigentlich ein Lieblingsauto aus schwäbischer Produktion?

Winfried Kretschmann: Ich habe in meinem Fuhrpark sowohl ein Brennstoffzellenfahrzeug als auch einige Elektrofahrzeuge. Die gehören sozusagen definitionsgemäß zu meinen Lieblingsautos.

SZ: Also kann sich ein Grüner einfühlen in das Lieblingsspielzeug der Deutschen?

Kretschmann: Als Ministerpräsident eines Automobillandes muss ich mich einfühlen. Auch wenn ich selbst kein libidinöses Verhältnis zu Autos habe. Leidenschaften gehören einfach zum Menschen: Der eine züchtet gern Bienen, der andere fährt gern Porsche. Ich will da keinen Tugendterror anstellen.

SZ: Erinnern Sie sich an einen tollen Moment in einem Auto? Eine Spur von Leidenschaft vielleicht?

Kretschmann: Ich bin mal dienstlich in einem Elektro-Porsche gefahren, ein sagenhaftes Drehmoment! Was soll ich jetzt noch gegen solche Fahrzeuge sagen?

SZ: Haben diese neuen Einsichten schon positiv abgestrahlt auf Ihre Beziehungen zu den Automobilunternehmen?

Kretschmann: Da ist alles in trockenen Tüchern.

SZ: Weniger Autos sind besser als mehr, mit dem Satz haben Sie am Anfang Ihrer Amtszeit ganz schön für Furore gesorgt.

Kretschmann: Davon habe ich auch nichts zurückzunehmen. Sonst bräuchten wir ja die Straßenbahnen und S-Bahnen nicht auszubauen. Aber natürlich werden weltweit noch viele Millionen Autos gebaut werden, das entscheidet ja der Markt und nicht der Ministerpräsident. Für mich ist also wichtig, dass andere Autos gebaut werden. Der Chef eines großen Autoherstellers hat unlängst zu mir gesagt, sein Ziel sei „zero emissions“. Dann habe ich gesagt: „Da kommen wir zusammen.“

SZ: Sie haben erwogen, auf die Panzerung Ihrer Dienstlimousine zu verzichten, um Sprit zu sparen. Machen Sie das jetzt?

Kretschmann: Dazu sage ich lieber nichts mehr. Ich bin ernsthaft getadelt worden von meinen Sicherheitsleuten, weil man über so was nicht öffentlich redet.

SZ: Wann standen Sie eigentlich zuletzt im Stau?

Kretschmann: Heute morgen.

SZ: Wie schafft man da Abhilfe?

Kretschmann: Zunächst mal: Nach einem guten halben Jahr an der Regierung können die Staus ja – bei allem Zutrauen in meine Fähigkeiten – nicht von mir kommen. Wenn die Straßenbaufreunde von der Union das in 58 Jahren Regierung nicht in den Griff bekommen haben, kann man von einem Grünen ja wohl schlecht verlangen, einfach mit den gleichen unzureichenden Mitteln weiterzumachen.

SZ: Das Gut Straße muss knapper werden, das ist einer Ihrer Lösungsansätze.

Kretschmann: Als ich das vorschlug, blies mir ein rauer Wind entgegen von der Opposition und der Wirtschaft. Es hieß wieder: Die ideologischen Grünen wollen gar keine neue Straßen mehr bauen. Ich setze da Realitätssinn entgegen: Es fehlen schlicht die Ressourcen, um den Staus hinterherzubauen. Würde mir Verkehrsminister Peter Ramsauer mehr Geld geben, dann würde ich auch mehr Straßen bauen.

SZ: Aber nicht zu viele, oder?

Kretschmann: Erst Knappheit macht den Menschen kreativ. Umfragen zeigen, dass die junge Generation bereit ist, sich in Sachen Mobilität durchaus rational zu verhalten. Die wollen schnell und bequem von A nach B kommen. Und dafür wollen wir jetzt Angebote schaffen. Wir haben hier in Stuttgart ein Car-2-go-Programm mit Daimler: Wer registriert ist, kann einfach einsteigen, losfahren und den Wagen dann wieder abstellen. Ich male mir das irgendwann mal so aus: Da fährt einer mit dem Elektrofahrrad los, steigt um ins bestellte Elektroauto und fährt damit zum Bahnhof.

SZ: Sie wollen das Gut Straße mit einem satellitengestützten Mautsystem verknappen, oder anders gesagt: teuer machen. Wann soll das kommen?

Kretschmann: Technisch ist das auf jeden Fall möglich, auch so, dass keine individuellen Fahrprofile aufgezeichnet werden. Der Satellit Galileo, der viele Milliarden kostet, braucht ja auch eine sinnvolle Beschäftigung. Aber bis so was steht, dauert es natürlich zehn Jahre. Wir müssen jetzt mit der Debatte anfangen.

SZ: Elektroautos, Vernetzung von Verkehrsmitteln, intelligente Verkehrssteuerung – all das will Baden-Württemberg in einem von wohl drei bundesweiten „Schaufensterprojekten“ präsentieren, die mit vielen Millionen Euro unterstützt werden. Doch es gibt 23 Bewerberstandorte. Warum sollte Ihr Land Ende März ausgewählt werden?

Kretschmann: Wir sind die bedeutendste Automobilregion in Europa, bei uns arbeiten 180.000 Menschen in dieser Industrie und bei den Zulieferern. Wir haben auch eine tolle Forschungslandschaft. Bei uns findet sich konzentriert alles, was man für die Zukunft des Automobils braucht. Auch die vielen Baden-Württemberger mit einer Leidenschaft für Autos werden uns da helfen.

SZ: Mit wem spinnen Sie eigentlich solche Ideen?

Kretschmann: Organisatorisch haben wir die E-Mobil Baden-Württemberg, unsere Landesagentur für Elektromobilität. Das ist die Gelenkstelle zur Wirtschaft und Wissenschaft. Unser Bewerbungskonzept für das Schaufensterprojekt wird von den großen Unternehmen des Landes, vom Mittelstand und der Forschung mitgetragen. Weit über 100 Partner sind da am Werk. Ich selbst rede auch ständig mit Wirtschaftsvertretern. Zum Start des Car-2-Go-Programms hatte ich natürlich engen Kontakt mit Daimler-Chef Dieter Zetsche. Mittlerweile vertrauen wir uns, und das ist auch wichtig, wenn wir mit Baden-Württemberg vorne dran sein wollen.

SZ: Ein solches grünes Autonetzwerk brauchen Sie ja auch. Oder haben Sie keine Angst vor CSU-Bayern, wo zwei große Hersteller, ein bekannter Ministerpräsident und der von dort stammende Bundesverkehrsminister zusammenspielen beim Thema Mobilität – und konkret beim Thema Schaufensterprojekt?

Kretschmann: Ich gehe davon aus, dass parteipolitische oder landsmannschaftliche Erwägungen da keine Rolle spielen. Wir sind ja keine Bananenrepublik. Ich habe zu Ministerpräsident Horst Seehofer ein gutes Verhältnis und kann auch nicht glauben, dass bei Ausschreibungen die Parteikarte gespielt wird. Da ist mein Vertrauen in das Funktionieren der Institutionen noch stark.

SZ: Das Vertrauen zwischen Ihnen und dem Verkehrsminister wirkt allerdings beschädigt. Ramsauer hat Sie in Sachen Stuttgart 21 hart kritisiert und auch noch gedroht, dass der Bund Fördergelder streicht, wenn Sie wirklich ein autofreies Land haben wollen.

Kretschmann: Darum setzt man ja auch Jurys ein: Damit die Verführung parteipolitischen Handelns gar nicht erst gegeben ist. Es sollen bei dem Schaufensterprojekt ja nicht politische Animositäten den Ausschlag geben.

SZ: Ist nicht eigentlich schon das Wort „Schaufensterprojekt“ ein Eingeständnis des Scheiterns? Bei der Elektromobilität mangelt es doch an der Umsetzung.

Kretschmann: Wir tun genug. Aber um es einmal klar zu sagen: Der Verbrennungsmotor und das Auto werden noch lange eine überragende Rolle spielen.

SZ: Das klingt jetzt aber nicht mehr nach Elektrotraum.

Kretschmann: Bei aller Begeisterung: Alles nur auf ein Pferd zu setzen, davon bin ich kein Anhänger, das halte ich für höchst gefährlich. Selbst eine Million E-Fahrzeuge sind nur zweieinhalb Prozent des deutschen Wagenparks. Man muss stets technologieoffen bleiben. Und dabei sind etwa Brennstoffzellen oder Effizienzsteigerungen bei Verbrennungsmotoren – über 50 Prozent sind da noch möglich – ganz wichtige Projekte auf dem Weg zu sauberem Verkehr. Ich habe da großen Respekt vor unseren Unternehmen, die hier strategische Entscheidungen treffen müssen und viel Kapital riskieren.

SZ: Herr Kretschmann, Daimler-Chef Zetsche klang beim Autosalon in Genf genau wie Sie gerade: Sein Unternehmen hat das Ende des Öl-Zeitalters vor Augen, von 30 Jahren sprach Zetsche. Bis dahin setzt Daimler auf Elektromobilität, aber auch auf die Verbesserungen der herkömmlichen Technologien. Wer nähert sich da an wen an?

Kretschmann: Die Wahrheit in den Tatsachen zu suchen, das sollte jeder aufgeklärte Mensch anstreben. Egal ob er grüner Ministerpräsident ist oder der Chef eines Autokonzerns.

SZ: Politik und Wirtschaft sind zwei Beteiligte beim Thema Mobilität – aber was ist mit den Menschen? Für viele ist das Auto das entscheidende und oft einzige Verkehrsmittel. Wie kann man das ändern?

Kretschmann: Letztlich ist das Auto meist Mittel zum Zweck. Wenn wir die Alternativangebote – vom E-Bike bis zur Bahn – besser machen, dann steigen gerade in der Stadt noch mehr Leute um. Im ländlichen Raum mag das anders ein, hier gibt es natürlich weniger Wahlmöglichkeiten.

SZ: Und was tun die echten Auto-Narren?

Kretschmann: Wenn es um den Aspekt des Besonderen geht: Gute Musikanlagen, tolles Design und andere Annehmlichkeiten, mit denen ich selbst eher wenig anfangen kann, wird es doch auch in Ein-Liter-Autos geben. Es müssen doch nicht immer nur PS und große Reifen sein. Die Kohorte, die das braucht, nimmt ab.

SZ: Ändern sich auch die Grünen? Für viele sind sie immer noch die Radfahrerpartei.

Kretschmann: Das stammt doch aus grauer Vorzeit. Nur ein paar altvordere Schwarze glauben noch, uns damit hochnehmen zu müssen.

SZ: Die Grünen sind eigentlich eine Autofahrerpartei?

Kretschmann: Die Grünen sind schon immer Autofahrerpartei gewesen. Ich hatte immer ein Auto.

SZ: Und was fuhr der grüne Ministerpräsident, als er noch Gymnasiallehrer war? Wir tippen mal auf einen Saab.

Kretschmann: Ich fahr’ schon lange Mercedes. Oder Daimler, wie man bei uns sagt. Allerdings waren es nicht immer die neuesten Modelle.

Interview: Roman Deininger und Max Hägler

Quelle:

Süddeutsche Zeitung
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