Ab dem kommenden Schuljahr können Kinder mit und ohne Behinderung in Baden-Württemberg gemeinsam zur Schule gehen und zusammen unterrichtet werden. Ein entsprechendes Gesetz hat der Landtag heute verabschiedet. Damit gehört die Sonderschulpflicht nun der Vergangenheit an: Eltern können selbst entscheiden, ob ihr Kind auf eine Regelschule oder eine Sonderschule geht.
„Für mich war es erstmal ungewohnt, aber nach einer Weile merkt man das gar nicht mehr“, sagt eine Schülerin der sechsten Klasse der Konstanzer Gebhardschule, auf die Frage, wie es sei, mit Kindern mit Behinderung in eine Klasse zu gehen. In der Gemeinschaftsschule werden schon heute Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet. Und das mit Erfolg. „Ich weiß gar nicht ganz genau, wer bei uns alles eine Behinderung hat und wer nicht“, meint denn auch eine Mitschülerin. Es sei normal unterschiedlich zu sein. „Es gibt ja in jeder Klasse die verschiedenen Cliquen. Und die, die eben eine Behinderung haben, gehören ganz normal dazu, wie jeder andere Schüler auch.“
Das Beispiel aus Konstanz zeigt: Inklusion kann sehr gut funktionieren. Für die Schülerinnen und Schüler wird das gemeinsame Lernen schnell normal. Die Kinder ohne Behinderung profitieren von der Inklusion genauso wie ihre Schulkameraden mit einem Handicap.
Und dieses Beispiel wird jetzt Schule machen. Denn der Landtag hat die Sonderschulpflicht in Baden-Württemberg abgeschafft. Eltern von Kindern mit Behinderung haben nun ein echtes Wahlrecht. Sie können entscheiden, ob ihr Kind eine Sonderschule oder eine Regelschule besuchen soll.
Individuelle Förderung statt Einheitsunterricht
Damit der gemeinsame Unterricht gelingt, bekommen alle Lehrerinnen und Lehrer in Zukunft eine sonderpädagogische Ausbildung. Außerdem wird in der schulischen Praxis der Tandem-Unterricht eine wichtige Rolle spielen. Hier ist neben dem Fachlehrer noch ein Sonderpädagoge im Klassenraum. Es geht also nicht um klassischen Frontalunterricht, sondern um individuelle Förderung.
Auch lernen nicht alle Schülerinnen und Schüler im Klassenraum das Gleiche. So hat beispielsweise ein Kind mit geistiger Behinderung andere individuelle Lernziele als seine nichtbehinderten Klassenkameraden.
Zusätzliche Lehrkräfte für inklusiven Unterricht
Für die Inklusion hat die Landesregierung schon im laufenden Schuljahr zusätzlich 200 Stellen für Sonderschullehrer zur Verfügung gestellt. In den kommenden beiden Schuljahren werden es jeweils weitere 200 sein. Im Endausbau sind es dann über 1.350 Stellen.
Jedes Kind mit Behinderung soll in Zukunft wohnortnah eine Regelschule besuchen können. Inklusion wird es allerdings nicht von heute auf morgen an jeder Schule im Land geben. Der Grund dafür ist einfach: Die Qualität des inklusiven Angebots muss stimmen. Einem Kind mit Behinderung wäre nicht geholfen, wenn es auf eine bestimmte Regelschule ginge, ohne dass dort die notwendigen Voraussetzungen geschaffen sind. Im Laufe der Zeit wird Inklusion aber zu einer Selbstverständlichkeit in allen Schularten werden.
Sonderschulen werden nicht abgeschafft
Das Land hat nun zwar die Sonderschulpflicht abgeschafft, nicht aber die Sonderschulen. Denn ein Teil der Eltern will ihre Kinder auch weiter auf eine Sonderschule schicken. Die Sonderschulen werden sich zudem zu sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren weiterentwickeln, deren Kompetenz auch für die Inklusion genutzt wird.
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