Flüchtlingspolitik

„Jeder, der ein Herz hat, wird davon berührt“

Integrationsministerin Bilkay Öney (r.) umarmt das Asylbewerberkind Lana (l.) (Foto: dpa)

Immer mehr Menschen müssen vor Verfolgung, Gewalt und Krieg ihre Heimat verlassen. Die Landesregierung stellt sich ihrer Verantwortung für die wachsende Zahl an Flüchtlingen, macht Integrationsministerin Bilkay Öney im Interview der Deutschen Presse-Agentur deutlich und blickt zuversichtlich in die Zukunft.

Flüchtlingspolitik war eines der wichtigsten Themen 2014. Warum wirkten Bund und Länder manchmal so, als hätten sie die Probleme nicht kommen sehen?

Bilkay Öney: Die Flüchtlingsproblematik hat sich noch mal zugespitzt mit der Dramatik in den Herkunftsländern wie Syrien und dem Irak. Uns hat das Thema nicht wirklich überrascht, aber wie andere Bundesländer mussten wir mit den steigenden Flüchtlingszahlen umgehen. Und da Baden-Württemberg mit Nordrhein-Westfalen und Bayern die meisten Flüchtlinge aufnimmt, hatte es noch mal eine besondere Bedeutung.

Im Sommer war das große Problem die überfüllte und einzige Landeserstaufnahmestelle (LEA) in Karlsruhe, Flüchtlinge schliefen unter freiem Himmel. Hätte man da nicht eher Abhilfe schaffen müssen?

Öney: Ja, haben wir auch: Wir haben die Kapazitäten in der LEA vervierfacht, aber das hat nicht ausgereicht. Die Struktur war eingestellt auf ein System mit wenigen Flüchtlingen. 2011 hatten wir 5300 Flüchtlinge, 2013 ist die Zahl schon sprunghaft angestiegen auf 14 000 und in diesem Jahr werden es 26 000. Das hätten wir nicht voraussehen können, zumal wir nicht wussten, wie sich die Krise im Nahen Osten entwickelt. Aber auch im Ukraine-Konflikt gibt es keine Entspannung.

Und dann mussten Sie in diesem Jahr schneller handeln?

Öney: Es ist nun mal so, dass die Kommunen nicht sofort «hurra» rufen, wenn wir eine LEA einrichten möchten. Es gibt immer Widerstand. Die Frage ist: Wie geht man mit diesem Widerstand um? Da haben wir auf Gespräche, auf Transparenz und auf Verhandlungen gesetzt - im Vorfeld. Das hat Zeit in Anspruch genommen, aber dafür haben wir gemeinsam Lösungen gefunden.

Glauben Sie, dass die dramatischen Bilder aus den Kriegsgebieten die Bevölkerung wachgerüttelt haben?

Öney: Jeder, der ein Herz hat, wird davon in irgendeiner Form berührt und versteht, dass diese Menschen nicht freiwillig in diese Situation geraten sind. Mein Wunsch ist, dass sich die internationale Staatengemeinschaft mehr bemüht, an den Fluchtursachen anzusetzen, und dass im Kampf gegen Terrorismus mehr getan wird.

Das würde dann mit Blick auf die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak bedeuten, militärisch einzugreifen?

Öney: Ich denke, der IS führt einen ideologischen Krieg, den man nur mit militärischen Mitteln nicht gewinnen kann. Denn solange der IS immer wieder Nachschub bekommt, bleibt das Problem. Man kann hundert IS-Kämpfer besiegen, und es rücken hundert neue nach. Da komme ich mit meinem Know-how an Grenzen, um eine Lösung zu entwickeln. Im Kampf gegen IS braucht es viele Verbündete und offenbar eben nicht nur militärische Pläne, sondern eine ideologische Gesamtstrategie.

Als sich die Lage in Baden-Württemberg im Sommer zuspitzte, hat die Landesregierung Sie da vorgeschickt, um die Stimmung in der Bevölkerung zu testen?

Öney: Das ist meine Aufgabe, ich bin für Flüchtlinge zuständig. Man musste mich also nicht vorschicken, das Thema beschäftigt uns schon die ganze Zeit. Aber es stand nicht so im Fokus. Der Umgang mit den hohen Zahlen war für uns neu. Und das war nichts, was wir allein auf Länderebene hätten regeln können. Umso mehr bin ich dem Ministerpräsidenten dankbar, dass er das noch mal auf der Bundesebene thematisiert hat und dazu beigetragen hat, dass der Asylkompromiss zustande kam.

Haben Sie ihn davon überzeugt?

Öney: Nein, das war nicht notwendig. Der Ministerpräsident ist ein kluger, weiser Mann. Er hört sich viele Positionen an, analysiert die Situation und entscheidet selbst.

Ist es für Sie denn eine Entlastung, dass Winfried Kretschmann (Grüne) das Thema unter anderem auch mit dem ersten Flüchtlingsgipfel im Land ein Stück weit ins Staatsministerium geholt hat?

Öney: Der Flüchtlingsgipfel hat auf Wunsch des Ministerpräsidenten stattgefunden. Wichtig war noch einmal, die Kräfte zu bündeln, die Bedürfnisse abzufragen und zu schauen, was machbar ist. Die Bearbeitung und Koordination findet im Integrationsministerium statt.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Stimmung noch mal kippt und rechte Parteien wie Anfang der 1990er Jahre Zulauf bekommen?

Öney: Nein, die Menschen sind heute viel aufgeklärter. Die Diskussionen verlaufen viel politisch korrekter. Wir haben ja zum Beispiel zwei Jahre über das neue Flüchtlingsaufnahmegesetz gesprochen und an keiner Stelle gab es Polemik. Von keiner Partei im Landtag. Und das rechne ich den Parteien hoch an, dass es nicht instrumentalisiert wurde, sondern nur gefragt wurde, wie die Kommunen vom Land unterstützt werden - und diese Frage ist absolut legitim.

Könnte sich das im Landtagswahlkampf ändern?

Öney: Das kann ich nicht ausschließen. Aber ich glaube, dass das Wahlvolk so klug ist, die Politiker daran zu messen, was sie an Verbesserungen für das Land vorschlagen. Nur ausländerfeindliche Sprüche reichen meines Erachtens nicht.

Was erwarten Sie für 2015?

Öney: Die Flüchtlingszahlen werden uns wahrscheinlich auf hohem Niveau begleiten. Wir sind ein gutes Stück weitergekommen bei der LEA mit der Eröffnung in Meßstetten und dem Gemeinderatsbeschluss in Ellwangen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das Problem lösen können.

Quelle:

dpa

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