Wie schon 2011 und 2012 und wie 2016 will die Landesregierung auch in diesem Jahr auf neue Kredite im Landesetat verzichten. Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung erläutert Finanzminister Nils Schmid, wie das möglich ist. Dennoch fordert er angesichts der Flüchtlingskrise mehr Geld vom Bund.
Stuttgarter Zeitung: Herr Minister, alle Welt redet von der Flüchtlingskrise, und Sie kommen mit der Nullverschuldung um die Ecke. Setzen Sie damit nicht auf das falsche Thema?
Nils Schmid: Wir dürfen Haushaltskonsolidierung und Flüchtlingspolitik nicht gegeneinander ausspielen. Im Landesetat ist ausreichend Vorsorge getroffen, um in diesem Jahr und auch im kommenden Jahr die Flüchtlinge menschenwürdig zu versorgen und die Herausforderung trotz der hohen Zahl ordentlich zu bewältigen. Gleichzeitig schaffen wir die Nullverschuldung. Wenn dank des guten Rechnungsabschlusses für das vergangene Jahr darüber hinaus fast 800 Millionen Euro neue Schulden vermieden werden können, dann müssen wir das auch tun – und diese Last nicht der nächsten Generation auf die Schultern legen.
Woher kommt denn der neuerliche Geldsegen in einer Situation, in der Ihnen die Steuerdukaten wie von Zauberhand gelenkt in die Taschen hüpfen?
Schmid: Die Steuereinnahmen entwickeln sich weiter erfreulich, das ist wahr, dazu haben wir sparsam gewirtschaftet. Im Ergebnis erreichen wir 2014 einen erheblichen Überschuss, der in etwa der bisher geplanten Nettoneuverschuldung 2015 entspricht. Und wenn die Null möglich ist, muss man sie auch machen.
Womöglich haben Sie einfach großzügig kalkuliert, zuletzt hatte sich das Land ja großzügig am Kreditmarkt mit Geld versorgt.
Schmid: Wer uns ausschließlich das Glück einer günstigen Steuerentwicklung zuweist, der unterschlägt, dass wir den Haushalt konsolidiert haben. Das hat uns in der Dimension wesentlich größere Spielräume eröffnet als ursprünglich angenommen. Mein Ziel war es, im Jahr 2016 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen. Jetzt kann ich sagen, dass wir dies bereits 2015 schaffen. Insgesamt ist es die vierte Nettonullverschuldung dieser Legislaturperiode. Das gab es noch nie in Baden-Württemberg.
Jedenfalls betrieben Sie eine vorausschauende Haushaltspolitik, und zwar in dem Sinn, dass Sie mit ein bisschen Hamstern und Nüssevergraben im Wahljahr und im Vorwahljahr über Rücklagen verfügen, um Haushalte ohne Neuverschuldung vorlegen zu können. Rein zufällig natürlich.
Schmid: Wir haben nicht gehamstert, sondern Vorsorge getroffen für absehbare und nicht absehbare Entwicklungen. Die Entwicklungen geben uns recht. Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, das gilt auch in der Finanzpolitik. Dass die Steuereinnahmen so gut laufen, ist das Glück des Tüchtigen.
Was aber bedeutet dies alles für die Schuldenbremse? Die Länder dürfen vom Jahr 2020 an keine neuen Schulden mehr machen. So verlangt es das Grundgesetz. Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer hat dies nun angesichts der Kosten für die Flüchtlingsaufnahme in Frage gestellt. Ist die Konsolidierung der Staatsfinanzen gefährdet?
Schmid: Was Baden-Württemberg angeht, werden wir 2016 die Nettonull erreichen, sofern der Bund seine Zusagen zur Unterstützung der Länder einhält – wovon ich ausgehe.
Und danach?
Schmid: Für die Aufnahme der Flüchtlinge muss Baden-Württemberg nach den vorliegenden Prognosen etwa eine Milliarde Euro jährlich zusätzlich aufbringen. Das bedeutet für die Jahre nach 2016, dass die Länder nur dann die Schuldenbremse einhalten können, wenn der Bund auch in den Folgejahren die Länder und Kommunen unterstützt. Drei Milliarden Euro hat der Bund bis jetzt zugesagt, allerdings nur für das Jahr 2016. Für Baden-Württemberg bedeutet dies einen Anteil von 300 bis 400 Millionen Euro. Dieser Betrag deckt die strukturellen Mehrkosten in Höhe von einer Milliarde Euro, die dem Land durch die Flüchtlingskrise entstehen, bei Weitem nicht ab.
Also benötigt auch Baden-Württemberg zusätzliches Geld für die Flüchtlingsaufnahme vom Bund, um die Nullverschuldung auf Dauer zu gewährleisten?
Schmid: So ist es. Aber dann schaffen wir es auch. Ohne strukturelle Beiträge des Bundes bei der Flüchtlingsaufnahme wird kein Land die Schuldenbremse einhalten können.
Welche Forderungen leiten Sie daraus für den Flüchtlingsgipfel in der kommenden Woche ab?
Schmid: Der Bund muss Ländern und Kommunen über die zugesagten drei Milliarden Euro hinaus helfen. Es muss mehr Geld fließen, und es muss auf Dauer fließen – über das Jahr 2016 hinaus. Außerdem brauchen wir mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau.
Wird Ihnen nicht ein bisschen mulmig angesichts des Flüchtlingszustroms?
Schmid: Klar ist, dass politisch Verfolgte und Bürgerkriegsflüchtlinge unseren Schutz verdienen. Wir haben ja weniger das Problem der hohen Zahl an sich. Die Probleme kommen daher, dass wir eine sehr hohe Zahl in sehr kurzer Zeit bewältigen müssen. Dass Deutschland in der Lage ist, Flüchtlingen zu helfen, steht außer Frage. Wir müssen Wege finden, den Zugang zu ordnen und zu kanalisieren. Das ist die aktuelle Herausforderung. Die Bundesregierung nimmt zu Recht die europäischen Partner in die Pflicht.
Deutschland steht mit seiner Flüchtlingspolitik recht einsam in der europäischen Landschaft herum, sieht man einmal von Österreich und Schweden ab. Kann das nicht dazu führen, dass die Bundesrepublik an einen Punkt kommt, wo das Grundrecht auf Asyl nicht mehr zu halten sein wird?
Schmid: Nein, das ist eine Frage der europäischen Solidarität. Alle EU-Mitgliedstaaten müssen sich an die Genfer Flüchtlingskonvention halten. Sie stehen in der Pflicht, Flüchtlinge aufzunehmen. Deutschland hat zuletzt für den Zusammenhalt der europäischen Währungsunion solidarisch gehandelt. Deswegen erwarten wir jetzt auch, dass die europäischen Partner in der Flüchtlingskrise ebenfalls Solidarität üben. Wofür sonst haben wir Europa? Europa ist kein Geldautomat, an dem man Strukturfondsmittel abkassiert. Es ist vor allem eine Wertegemeinschaft.
Quelle:
Stuttgarter Zeitung