Interview

„Aufklärungsarbeit ist noch nötig”

lhp

Einsam fühlt sich Baden-Württembergs Finanzministerin Edith Sitzmann in der Runde der Finanzministerinnen und Finanzminister der Länder als Frau zwar nicht. Immerhin gebe es bundesweit fünf Finanzministerinnen. Beim Berufswahlverhalten junger Mädchen sieht sie aber noch Bedarf an Aufklärungsarbeit, sagt Sitzmann im Interview mit „Wirtschaft in Baden-Württemberg“.

Wirtschaft in Baden-Württemberg: Frau Sitzmann, Männer kommunizieren anders als Frauen. Der US-Präsident twittert. Was machen Sie?

Edith Sitzmann: Ich bin eine Anhängerin der direkten Kommunikation. Deshalb habe ich einen großen Besprechungstisch in meinem Büro. Der wird auch fleißig genutzt. Für mich hat das direkte Gespräch einen großen Wert: Wenn unterschiedliche Menschen mit ihren Erfahrungen ein Thema von verschiedenen Seiten beleuchten, ergeben sich neue Ansätze, Ideen und Lösungen. Viele Themen sind sehr komplex, so dass sie mit 140 Zeichen in einer Twitternachricht nicht darzustellen sind.

Sie haben in der Grünen-Fraktion das Zwei-Minuten-Rederecht eingeführt. Woher kam mehr Gegenwind - von Männern oder Frauen? 

Sitzmann: Niemand hat sich empört. Es war eine pragmatische Lösung und im allgemeinen Interesse, dass ich einst als Fraktionsvorsitzende die Drei-Minuten-Regel eingeführt habe. Der Hintergrund war, dass die Fraktion von 17 auf 36 Abgeordnete gewachsen ist. Mein Ziel war, dass möglichst alle zu Wort kommen. Mittlerweile sind es zwei Minuten, weil es 47 Abgeordnete sind.

Glauben Sie, dass Frauen anders führen als Männer?

Sitzmann: Es ist komisch, dass ich als Frau immer gefragt werde, ob ich anders führe als ein Mann. Männer werden nicht gefragt, ob sie anders führen als Frauen. Letztendlich müsste man mit Leuten sprechen, die schon mal einen Mann als Chef und eine Frau als Chefin hatten. Ich war lange selbstständig – also meine eigene Chefin, in der Landesregierung habe ich einen Chef, den Ministerpräsidenten. Es geht nicht so sehr um Mann oder Frau. Mir ist wichtig, allen Menschen mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen. Das ist die Grundlage, um miteinander gute Gespräche führen zu können. Bei Frauen wird auch sehr auf Äußerlichkeiten geachtet. Bei der britischen Premierministerin Theresa May wurde ausführlich über ihre Schuhe berichtet. Bei einem Mann ist das schwer vorstellbar.

Nervt sie das?

Sitzmann: Mit nerven hat das nichts zu tun. Es gibt Ausnahmen bei den Männern – etwa wenn es um die Farbe von Krawatten geht. Wenn CDU-Politiker bei Koalitionsverhandlungen grüne Krawatten tragen oder der Ministerpräsident eine grün-schwarze, dann fällt das auf. Es wird auch darüber berichtet, wenn Männer teure Maßanzüge tragen oder wenn man vermutet, sie könnten die Haare getönt haben. Ansonsten stimmt es schon, dass bei Frauen das Aussehen und die Kleidung öfter im Fokus stehen. Andererseits ist es doch wunderbar, dass ich als Frau eine viel größere Bandbreite habe, mich anzuziehen. Vom schwarzen Finanzerkostüm mit weißer Bluse bis zu bunten Sakkos, Kleidern oder Hosenanzügen.

Leistung allein reicht nicht um voranzukommen. Auch Selbstmarketing ist sehr wichtig. Haben Frauen hier Nachholbedarf?

Sitzmann: Der Grundsatz, tue Gutes und rede darüber, ist wichtig. Als Trainerin habe ich für Frauen Kurse gegeben etwa vor Kommunalwahlen. Da haben wir auch daran gearbeitet, wie sich die Teilnehmerinnen in Szene setzen und sich ins Gespräch bringen können. Es geht nicht nur darum, was man sagt, sondern auch, wie man es sagt und wie man auftritt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass Frauen sich etwas mehr überwinden müssen, um sich öffentlich zu präsentieren, als dies bei Männern der Fall ist. 

Viele Fachleute sagen, dass sich Frauen oft selbst im Weg stehen. Teilen Sie diese Erfahrung?

Sitzmann: Ich würde das nicht als frauenspezifisches Charakteristikum nehmen. Oft sind es Themen oder Problemstellungen, die einem mal mehr oder mal weniger liegen. Frauen fällt es allerdings manchmal etwas schwerer, sich selbst wichtig zu nehmen und Sendungsbewusstsein zu entwickeln, dass sie was Wichtiges zu sagen haben.

Dort, wo die Zukunft entschieden und gut Geld verdient wird, sind Frauen an der Spitze selten. Nehmen wir das Silicon Valley und die Finanzbranche. Woran liegt das?

Sitzmann: Ich bin Finanzministerin – und dabei in bester Gesellschaft. Es gibt drei grüne Finanzministerinnen in dieser Republik, insgesamt sind es fünf Finanzministerinnen ­– also ganz so einsam ist es nicht. Aber es ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig, gerade wenn man sich das Berufswahlverhalten von jungen Mädchen anschaut. Als Politikerin habe ich schon öfter den Girls‘ Day mit veranstaltet, bei dem es darum geht, was Mädchen später einmal werden wollen. Viele werden lieber Friseurin als Mechatronikerin und da verdienen sie deutlich weniger als viele Männer. Und wenn ein Kind kommt, stecken sie auch noch zurück.

Ist das nicht ein Teufelskreis und wie lässt der sich durchbrechen?

Sitzmann: Wir haben im Mint-Bereich (Anm. d. Red:  Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) eine Initiative von Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium, mehr Mädchen für die technischen Berufe zu interessieren. Allerdings ist auch wichtig, dass der Arbeitsmarkt durchlässig ist und Frauen beispielsweise als Ingenieurinnen Chancen haben, einen Arbeitsplatz zu bekommen, bei dem sie nach einer Familienpause wieder einsteigen können.

Das ist sicher auch eine Aufgabe von Arbeitgebern, den Kontakt mit Frauen zu halten, zu signalisieren, wir freuen uns, wenn du wieder kommst. In Zeiten des Fachkräftemangels wird das noch wichtiger, dann dürften sich auch bessere Verdienstchancen für Frauen ergeben. Der Teufelskreis lässt sich durchbrechen. Da gehören aber alle Seiten dazu: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Eltern und auch die Frage, ob Familienarbeit eine Frauenaufgabe ist. Da tut sich was, zwar im kleinen Prozentbereich, aber immerhin. Durch die Elternzeit nehmen sich zunehmend Männer Zeit für ihre Kinder.

Beim Finanzplatzgipfel in Stuttgart, den es seit vielen Jahren gibt, fallen die wenigen Frauen, die zwischen den vielen Männern anzutreffen sind, immer noch auf. Gerade bei Banken und Sparkassen arbeiten viele Frauen, aber nicht an der Spitze.

Sitzmann: Ja das stimmt. Der Frauenanteil ist noch nicht so prickelnd. Es gibt die Frauenquote für Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen und mit dem Chancengleichheitsgesetz soll in Gremien, in die das Land Mitglieder entsenden kann, der Frauenanteil auf 40 Prozent erhöht werden. Das ist ein guter Ansatz. Letztlich geht es darum, gemischte Teams mit unterschiedlichen Fähigkeiten zu bilden. Also Diversity – da geht es um Mann und Frau, um jung und alt, unterschiedliche Nationalitäten, Kulturen, Berufe. Wir wissen, dass gemischte Teams für die Ergebnisse von Unternehmen gewinnbringend sind.

Sie haben Geschichte und Kunstgeschichte studiert und als Reiseleiterin gearbeitet und dann in der Politik Karriere gemacht. Sollten Frauen, die Karriere machen wollen eher fokussiert oder eher eine breitere Themenpalette abdecken?

Sitzmann: Das ist schwer zu sagen. Mein Lebenslauf ist ja nicht sehr gradlinig. Ich persönlich habe es immer als Bereicherung empfunden, dass ich Einblicke in unterschiedliche Berufswelten und Aufgaben hatte. Davon profitiere ich. Dass ich Finanzministerin geworden bin, hab ich mir zuvor nicht erträumt. Scheinbar geht es auch mit einem weniger gradlinigen Lebenslauf, eine Führungsaufgabe zu bekommen. 

Haben Sie den Eindruck, dass Sie für ihre Karriere viel opfern mussten?

Sitzmann: Nein, ich habe mich ja immer freiwillig entschieden, wenn sich eine Möglichkeit ergeben hat. Wenn man so eine Aufgabe übernimmt, übernimmt man sie mit Herzblut, Haut und Haaren. 

Wie setzen Sie sich durch in reinen Männerrunden. Gibt es einen Kniff oder etwas, was Frau tunlichst vermeiden sollte? 

Sitzmann: Ich bin seit 2002 im Landtag. Und seit ich Politik mache, bin ich für Themen zuständig, die man fälschlicherweise als so genannte harte Themen bezeichnet – egal ob als wirtschafts- oder finanzpolitische Sprecherin, Fraktionsvorsitzende oder Finanzministerin. Da gab es häufig Termine und Gesprächsrunden mit vielen Männern. Entscheidend ist, dass man sich selber im Klaren ist, welches Ergebnis man erreichen will, um das dann mit Argumenten und mit Charme durchzusetzen. Ich halte es für wichtig, vom Ergebnis her zu denken.

Das Gespräch führte Imelda Flaig.

Quelle:

Das Interview erschien am 21. Februar 2017 in Wirtschaft in Baden-Württemberg

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