Interview

Wir brauchen einen nationalen Konsens für die Endlagersuche

Portätfoto von Ministerpräsident Winfried Kretschmann.

Für die Suche nach einem Atommüllendlager ist ein nationaler Konsens notwendig, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann Zeit-Interview. Dabei müsse das Prinzip der „weißen Landkarte“ gelten: „Der Atommüll kommt nicht dorthin, wo es einem gefällt, sondern an den Ort, den die Wissenschaft für den sichersten hält.“

DIE ZEIT: Herr Ministerpräsident, vor einem Jahr haben Sie gemeinsam mit dem damaligen Bundesumweltminister Röttgen erreicht, dass wieder über die Endlagerung von Atommüll diskutiert wird.Nun haben Jürgen Trittin und Sigmar Gabriel die Gespräche abgesagt – offenkundig aus wahlkampftaktischen Gründen. Ärgern Sie sich nicht schwarz?

Winfried Kretschmann: Nicht die Gespräche sind abgesagt, sondern ein Treffen. Und so, wie Bundesumweltminister Altmaier das Treffen organisiert hatte – mit allen 16 Ministerpräsidenten, allen Partei- und Fraktionsvorsitzenden –, war das auch nicht erfolgversprechend. In so einer großen Runde kann man solche strittigen und schwierigen Fragen nicht verhandeln.

ZEIT: Trittin und Gabriel haben ihre Absage damit begründet, dass kein verhandelbares Angebot vorliege. Wie sehen Sie das?

Kretschmann: Der Gesprächsfaden war im Grunde ja schon im April gerissen, als man wegen der NRW-Wahl die Verhandlungen zurückgestellt hat. Dann kam der Personalwechsel Röttgen/Altmaier, und so sind die Monate zwischen den Wahlkämpfen in NRW und jetzt in Niedersachsen verstrichen, ohne dass man weitergekommen ist. Das war ein Fehler. Da ist viel wertvolle Zeit verloren gegangen, und das lag nicht an uns. Wir haben immer darauf gedrängt, weiterzureden.

ZEIT: An wem lag es dann?

Kretschmann: Ich habe dem Kollegen Altmaier einen Brief geschrieben, nachdem wir keine Einladung zu einem Gespräch bekommen hatten. Dann kam plötzlich eine, aber mit Bedingungen, die einen Erfolg praktisch unmöglich machen: eine Mammutrunde und keine verhandlungsfähigen Vorschläge zu den noch strittigen Punkten, über die wir hätten beraten und entscheiden können. Das muss man in Zukunft besser hinkriegen, wir brauchen da präzisere und bessere Absprachen. Minister Röttgen hat das wirklich sehr gut und umsichtig gemacht. Der neue Bundesumweltminister hat durchaus im Hintergrund seine Gespräche geführt, er hat es aber versäumt, diese zeitnah in eine zielführende Verhandlungsrunde zu führen. Er hatte eben zunächst einmal alle Hände voll mit der Energiewende zu tun, die uns weiß Gott auch unter den Nägeln brennt, und hat darüber die Endlagerfrage wohl ein bisschen aus den Augen verloren.

ZEIT: Manche in Ihrer Partei wollen Gorleben bei der Endlagersuche ausschließen. Sie selbst hatten sich aber mit Röttgen darauf geeinigt, es weiter auf der Liste zu lassen. Wie soll da eine Einigung zustande kommen?

Kretschmann: Das muss ich korrigieren. Es geht hier um eine »weiße Landkarte«. Das bedeutet, der Prozess einer Endlagersuche muss so organisiert werden, als gäbe es Gorleben in der jetzigen Form nicht – Gorleben darf kein Referenzstandort sein. Das heißt: Gorleben muss gleichwertig mit anderen infrage kommenden geologischen Formationen in der Suche drinbleiben, man verabschiedet sich nicht von vornherein davon. Ohne diesen Kompromiss wäre der Prozess nicht in Gang gekommen. Klar ist aber: Es muss einen Bau- und Erkundungsstopp geben. Insofern hätten die Gorleben-Gegner in Niedersachsen so viel erreicht wie noch nie, wenn der Kompromiss so zustande kommen würde.

ZEIT: Bleiben Sie bei Ihrer Zusage, dass Sie auch in Baden-Württemberg nach einem möglichen Endlager suchen wollen?

Kretschmann: Selbstverständlich. Die ganze Republik ist die weiße Landkarte. Der Atommüll kommt nicht dorthin, wo es einem gefällt, sondern an den Ort, den die Wissenschaft für den sichersten hält. Wenn man sich vorstellt, was schon ein unterirdischer Bahnhof an Konflikten auslöst, kann man sich ja leicht ausmalen, was denjenigen erwartet, in dessen Region Atommüll gelagert werden soll. Deshalb brauchen wir da einen nationalen Konsens. Das verlangt von allen Seiten Kompromissbereitschaft und konstruktives Mitwirken.

ZEIT: Was muss jetzt geschehen?

Kretschmann: Man muss in einer verhandlungsfähigen Konstellation zusammenkommen: Ein Kreis von acht bis zehn Leuten reicht völlig. Dazu gehören neben dem Bundesumweltminister die Fraktionsvorsitzenden der Opposition sowie einige Ministerpräsidenten und Landesminister. Dann muss der Umweltminister in den vier entscheidenden Punkten gut ausgearbeitete Vorschläge machen: was die Kriterien betrifft für ein Endlager, die Zukunft von Gorleben, die Anzahl der möglichen Standorte und die Frage, welche Behörden das Ganze leiten. Das Wichtigste sind die Kriterien.

ZEIT: Skeptiker, angefangen bei RWE über die FDP bis zur Linkspartei, halten erneuerbare Energien nun für ungerecht und zu teuer. Gerät die Energiewende ins Stocken?

Kretschmann: Mein Eindruck ist, dass Altmaier die Wende wirklich will. Ich finde es allerdings bedauerlich, dass man diesen rückwärtsgewandten Tönen nicht energischer widerspricht. Sicherheit der Energieversorgung, Preise – da sind so viele Mythen und Horrorszenarien in Umlauf, die nicht seriös belegt sind. Ich wünsche mir von der Kanzlerin und vom Umweltminister, dass sie die Energiewende und ihre Chancen offensiver angehen, statt sich in die Defensive drängen zu lassen.

Die Fragen stellte Mariam Lau.

Quelle:

Die Zeit
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