Interview

„Heimat, Hightech, Highspeed“

Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bild: dpa).

Den Ausbau des schnellen Internets im ländlichen Raum treibt die Landesregierung noch stärker voran als bisher. „Wir gehen jetzt nochmal richtig mit Volldampf rein“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Interview mit der Südwest Presse. Er kündigte an, dass die Mittel für den Breitbandausbau massiv erhöht werden.

Südwest Presse: Herr Ministerpräsident, anderthalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl scheint Grün-Rot nur noch auf die Wähler zu schielen: schuldenfreie Haushalte in greifbarer Nähe, viel weniger Lehrerstellen sollen entfallen, die Hochschulen jubeln über Geld. Reicht das, um der CDU den Wind aus den Segeln zu nehmen?

Winfried Kretschmann: Das ist nicht das Motiv. Wir haben auch noch keinen Wahlkampf, sondern viel zu tun. Die Wahl wird im Übrigen in den letzten Wochen vor der Wahl entschieden und nicht anderthalb Jahre vorher. Beim Hochschulfinanzierungsvertrag der mit zusätzlichen 1,7 Milliarden Euro bis 2020 in der Tat den Hochschulen eine hohe Summe zur Verfügung stellt, geht es um die entscheidende Aufstellung dieses Landes. Ob wir in Forschung, Entwicklung, Wissenschaft und beim Transfer der Ergebnisse in unsere mittelständische Wirtschaft vorn liegen oder nicht. Das entscheidet über den Wohlstand und die Zukunft Baden-Württembergs. Bei den Lehrerstellen haben wir die Ziele angepasst, weil sich die Schülerzahlen geändert haben.

Viele wollen das neunjährige Gymnasium zurück, kommt das auch noch?

Kretschmann: Ich bin, anders als früher, ganz entschiedener Anhänger von G8. Wir müssen uns verabschieden von der Meinung, was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Die Welt ändert sich in einem Tempo ungeahnten Ausmaßes und damit auch das Wissen in der Welt. Es reicht nicht mehr, einmal zu lernen. Wir brauchen immer wieder Phasen der Weiterbildung. Deshalb ist die Verkürzung der Schulzeit und der Studienzeit im Kern richtig. Außerdem: Wer neun Jahre will, kann ein berufliches Gymnasium oder die Gemeinschaftsschule besuchen. Das macht ja heute bereits ein Drittel der späteren Abiturienten.

Es bleibt bei den wenigen G9-Ausnahmen?

Kretschmann: Der Deckel wird nicht relevant gelupft. Ja, ich bin da ganz bei meinem Kultusminister.

Die Beamten erwarten nach der aufgeschobenen Besoldungsanpassung mehr Entgegenkommen.

Kretschmann: Wir sind mit den Beamten pfleglich umgegangen. Man kann keinen Haushalt am Personal vorbei konsolidieren, bei dem die Personalkosten bei 43 Prozent liegen. Die Tarifverhandlungen werden hart werden, denn wir müssen die Schuldenbremse einhalten und haben keine Spielräume.

Günther Oettinger wird als EU-Kommissar künftig das Thema Digitalisierung bearbeiten. Manche sprechen von einer Degradierung.

Kretschmann: Das ist ein Topthema. Die digitale Revolution verändert weite Felder der Wirtschaft, der Infrastruktur und des persönlichen Lebens gravierend, sie wälzt alles um. Oettinger hat eine höchst herausfordernde Aufgabe. Dazu kann ich ihn nur beglückwünschen und hoffen, dass er daraus etwas macht.

Macht die Landesregierung selbst genug auf diesem Feld?

Kretschmann: Wir sind gut dabei, denn wir wissen, wer da die Nase nicht vorn hat im harten globalen Wettbewerb, der wird, so gut er auch heute dastehen mag, in der Zukunft keinen vorderen Platz mehr belegen. Es gibt auf der Internet-Landkarte kaum noch weiße Flecken. Waren es 2011 noch 700 Gemeinden mit unzureichender Versorgung, so waren es Ende 2013 noch 200. Auch beim schnellen Internet sind wir schon bei einem Versorgungsgrad von knapp 70 Prozent, also weit vorne im Ländervergleich. Bayern zum Beispiel liegt nur bei knapp über 50 Prozent, der Bundesdurchschnitt liegt bei 60 Prozent.

Also kein Handlungsbedarf?

Kretschmann: Doch, wir gehen jetzt nochmal richtig mit Volldampf rein: In den nächsten beiden Haushaltsjahren werden wir die Mittel für die Breitbandversorgung von bisher 11,7 auf jeweils 30 Millionen Euro aufstocken.

Das nutzt dann besonders dem ländlichen Raum?

Kretschmann: So ist es. In den großen Zentren gibt es ja ein kommerzielles Interesse am Internetausbau. Das ist kein Problem. Im ländlichen Raum, wo viele unserer „hidden champions“ ihre Weltmarktführerschaft verteidigen müssen, sollen unsere Investitionsanreize dazu führen, dass wir mit hohem Tempo vorankommen. Ich will sagen können: Heimat, Hightech, Highspeed.

Und bei soviel Mehrausgaben soll die jetzt für 2016 angekündigte Nullverschuldung nicht wanken?

Kretschmann: Wir bleiben beim sinnvollen Dreieck: investieren, sanieren und sparen. Wenn wir nicht investieren, das gilt auch für Bildung und Wissenschaft, dann untergraben wir sehr schnell die Quellen des Wohlstands der kommenden Jahre. Infrastruktur auf Verschleiß zu fahren und das Landesvermögen verlottern zu lassen wie unter unseren Vorgängern, produziert nur verdeckte Schulden. Wenn die Steuerquellen weiter sprudeln, werden wir sicher schon vor 2020 ausgeglichene Haushalte haben.

2016 heißt die neue Jahreszahl.

Kretschmann: Ja, das ist das ambitionierte Ziel der Landesregierung, aber es ist noch nicht endgültig in trockenen Tüchern. Denken Sie nur an die Riesensummen, die wir für die Flüchtlinge aufwenden müssen und auch wollen, denn das ist eine humanitäre Verpflichtung. Insofern ist das alles immer noch auf Kante genäht.

Wie zuversichtlich sind Sie denn, dass der Bund finanzielle Lasten bei der Flüchtlingsaufnahme trägt?

Kretschmann: Noch drängender ist für uns aktuell das Problem fehlender Liegenschaften. Da brennt uns der Kittel. Aber wir sind mit Hochdruck dabei, zum Beispiel ehemalige Kasernen umzunutzen. Wir wollen aber auch, dass das Baugesetzbuch verändert wird, damit in Ausnahmesituationen auch Liegenschaften in Gewerbegebieten mit Flüchtlingen belegt werden können.

Noch wehren sich die Grünen gegen ein verkürztes Verfahren für Asylsuchende aus sicheren Drittländern.

Kretschmann: Wir wollen die Frage der Arbeitserlaubnis geklärt haben, aber auch die Beteiligung des Bundes an den Gesundheitskosten für die Asylbewerber, um die Kommunen zu entlasten. Der Bund darf die Länder bei der Flüchtlingsaufnahme nicht allein lassen. Wir führen die Verhandlungen ernsthaft, kompromissbereit und ergebnisorientiert.

Die Grünen im Bund sehen das ganz anders.

Kretschmann: Wir verhandeln gemeinsam mit allen grün-mitregierten Ländern und sind in enger Abstimmung mit der Partei und der Bundestagsfraktion. Ich hoffe, dass wir auch innerparteilich einen Kompromiss finden.

Sie setzen darauf, dass das Land, wenn auch erst ab 2020 aus dem Solidarzuschlag erhebliche Mehreinnahmen bekommt. Wie gehen die schwierigen Bund-Länder-Verhandlungen aus?

Kretschmann: Ich bin Ministerpräsident und kein Prophet. Aber ich könnte mir denken, dass der Solidaritätszuschlag in die Gemeinschaftssteuern eingegliedert wird. Das ist die Variante, die am ehesten konsensfähig zu sein scheint, weil davon alle was haben, Bund, Länder und Kommunen.

Und die Reform des Länderfinanzausgleichs ist dann vom Tisch?

Kretschmann: Nein, aber die ist ja nur dann zu machen, wenn niemand weniger hat als vorher. Natürlich stöhnen wir Geberländer unter der Überlast, aber wie sollen andererseits Länder wie Schleswig-Holstein oder das Saarland aus der Schuldenfalle entkommen?

Quelle:

Südwest Presse
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