Landesjubiläum

"Denken und Schaffen"

Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Gespräch beim Kreisbesuch in Karlsruhe am 23. November 2011

"Denken und schaffen. Das macht die Menschen in Baden-Württemberg aus: dass sie das, was sie erdacht haben, auch gerne umsetzen", sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten rund um das baden-württembergische Landesjubiläum.

Stuttgarter Nachrichten:
Herr Ministerpräsident, eine Frage, die wir auch Ihren vier Amtsvorgängern gestellt haben: Fühlen Sie sich als Baden-Württemberger?

Winfried Kretschmann: Ja, ich fühle mich als Baden-Württemberger, wenn auch zuvörderst als Schwabe.

Stuttgarter Nachrichten: Empfanden Sie das schon immer so?

Kretschmann: Ja, und ich denke, das Land ist heute wirklich zu einer Einheit zusammengewachsen, ohne dass die Regionen ihre Identitäten verloren haben. Sie stehen jetzt nicht mehr nebeneinander, sondern unter dem Dach Baden-Württemberg.

Stuttgarter Nachrichten: Was verbindet die Landesteile?

Kretschmann: Das starke Engagement der Bürgerschaft! Wir sind das Land mit den meisten ehrenamtlich tätigen Menschen. Verbindend wirkt auch die starke mittelständische Wirtschaft in allen Regionen des Landes. Sie ist die Grundlage unserer Prosperität.

Stuttgarter Nachrichten: Was bedeutet Heimat für Sie?

Kretschmann: So schön Baden ist, beheimatet fühle ich mich erst mal da, wo Schwäbisch gschwätzt wird. In einem traditionellen Sinn ist Heimat für mich auch, wenn ich auf der Schwäbischen Alb mit ihrem freundlichen hellen Jura wandere. Aber wir haben ja immer mehrere Heimaten. Ich fühle mich beispielsweise auch beheimatet, wenn ich Hannah Arendt lese. Heimat ist dort, wo der Mensch sich selbst wiederfindet und sich wohlfühlt.

Stuttgarter Nachrichten: Lokale Verankerung und globales Denken, wie geht das zusammen?

Kretschmann: Das eine bedingt das andere. Unser Wohlstand in Baden-Württemberg beruht darauf, dass wir unsere Premiumprodukte in alle Welt exportieren. Dazu muss man weltoffen sein. Insofern muss man immer auch ein Stück Kant’scher Weltbürger sein. Gleichzeitig gilt: Wenn ich mich nirgendwo sicher und behaust fühle, kann ich auch den Schritt in die weite Welt praktisch und geistig nicht wagen.

Stuttgarter Nachrichten: Ist Baden-Württemberg ein weltoffenes Land?

Kretschmann: Auf jeden Fall haben wir da noch Nachholbedarf. Sicher sind bei uns die Einwanderer erst mal gut integriert, sobald es aber in höhere Führungsetagen geht oder in den öffentlichen Dienst, gibt es eine unsichtbare Schwelle. Dort trifft man kaum Einwanderer an. Da müssen wir uns schon noch nach der Decke strecken und weltoffener werden.

Stuttgarter Nachrichten: Warum ist das so?

Kretschmann: Es ist viel zu lange ignoriert worden, dass wir ein Einwanderungsland sind. Heute redet jeder selbstverständlich von „Migranten“. Noch vor wenigen Jahren erkannte man einen Grünen und einen CDUler daran, dass der eine „Migrant“ und der andere „Ausländer“ sagte. Jetzt endlich sieht man Zuwanderung auch als Chance. Schließlich kämpfen alle Industrienationen um die besten Köpfe.

Stuttgarter Nachrichten: Wie soll die Willkommenkultur aussehen?

Kretschmann: Versäumnisse von Jahrzehnten kann man nicht von heute auf morgen beheben. Wir haben erst mal ein Integrationsministerium geschaffen, um zu zeigen, dass wir den nächsten Schritt der Integration gehen wollen – nämlich die Aufstiegsmöglichkeiten zu verbessern. Wir strengen uns da wirklich auf allen Gebieten an. Eine zentrale Rolle spielt die Schule. Eine gute frühkindliche Bildung ist die beste Voraussetzung für Integration.

Stuttgarter Nachrichten: Gibt es ein Land, in dem Sie lieber leben würden?

Kretschmann: Nein!

Stuttgarter Nachrichten: Stuttgart oder Laiz, wo fühlen Sie sich wohler?

Kretschmann: Ich bin jemand, der gern im Dorf lebt, habe aber den Großteil meines Lebens in Stuttgart verbracht, schon als Student und dann später in der Politik. Ich kenne mich in Stuttgart genauso gut aus wie in Laiz.

Stuttgarter Nachrichten: Sind Sie eher ein Landmensch?

Kretschmann: Ja, gar keine Frage. In der Stadt ist es mir einfach zu laut.

Stuttgarter Nachrichten: Welche Gegenden Baden-Württembergs kennen Sie nicht?

Kretschmann: Keine. Das wäre auch komisch nach 30 Jahren Landespolitik. Aber ich kenne natürlich nicht alle gleich gut.

Stuttgarter Nachrichten: Gibt es eine Stadt im Land, in der Sie noch nicht waren?

Kretschmann: Schwetzingen! Ich frage mich schon lange, warum ich eigentlich noch nie bei den Schwetzinger Festspielen war. Aber das mach’ ich jetzt endlich. Der Termin steht schon fest.

Stuttgarter Nachrichten: Welcher Ort im Land ist für Sie besonders geschichtsträchtig?

Kretschmann: Zweifelsohne der Hohenneuffen, der in meinem Wahlkreis liegt. Da ist der Südweststaat gewissermaßen gezeugt worden (das Dreiländertreffen 1948, d. Red.).

Stuttgarter Nachrichten: Wie beschreiben Sie Baden-Württemberg?

Kretschmann: Erstens: Es hat starke eigenständige Regionen mit starken wirtschaftlichen Profilen. Es gibt in Baden-Württemberg keine wirklich strukturschwachen Räume und keinen übermächtigen Zentralismus, wenngleich man sagen muss, dass er in abgeschwächter Form schon etwas Einzug gehalten hat. Da muss man nur an Stuttgart 21 denken. Aber das ist ja jetzt auch entschieden. Zweitens ist zu nennen: die engagierte Bürgerschaft. Drittens: unser berühmt tüchtiger Mittelstand und die Tüftler. Und viertens seine hervorragende Wissenschaftslandschaft, deren Bedeutung immer wichtiger wird.

Stuttgarter Nachrichten: Und wie beschreiben Sie seine Menschen?

Kretschmann: Die Badener haben den etwas abfälligen Slogan: Die Badener denken, und die Schwaben schaffen. In Wirklichkeit tun’s beide: Denken und schaffen. Das macht die Menschen in Baden-Württemberg aus: dass sie das, was sie erdacht haben, auch gerne umsetzen.

Stuttgarter Nachrichten: Wie steht das Land heute da?

Kretschmann: Hervorragend. Wir gehören zu den führenden Ländern in Deutschland und Europa. Baden-Württemberg ist das, was man neuhochdeutsch eine Innovationsregion nennt. Ausländische Besucher bewundern jedes Mal die Innovationskraft unseres Landes.

Stuttgarter Nachrichten: Wie sollte das Land in zehn Jahren dastehen?

Kretschmann: Das Wichtigste ist: Wir müssen den Wohlstand und das Wirtschaftsmodell vereinbar machen mit unseren Lebensgrundlagen. Das ist bisher nicht der Fall. Wir bauen in Baden-Württemberg zwar tolle Autos, aber sie haben einen zu hohen CO2-Ausstoß. Wir müssen das Auto jetzt gewissermaßen zum zweiten Mal erfinden; ich setze da große Hoffnungen in die Elektromobilität. Baden-Württemberg wird sich sicher verändern. Das wird man auch daran erkennen, dass in zehn Jahren hier etwa 1.000 große Windkraftanlagen stehen werden. Das wird ein sichtbares Zeichen dieses Wandels sein.

Stuttgarter Nachrichten: Welche Zeichen wird es noch geben?

Kretschmann: Elektroautos in den Städten und weniger Staus. Viele Gemeinschaftsschulen im ganzen Land.

Stuttgarter Nachrichten: Geht Ihnen die Veränderung schnell genug?

Kretschmann: Nein. Alles, was wir anstreben, ist in der Wirtschaft eigentlich schon angelegt. Was ich noch machen muss, ist aufs Tempo drücken.

Stuttgarter Nachrichten: Wie macht man das?

Kretschmann: Indem wir beispielsweise ein Schaufenster für Elektromobilität schaffen und unsere Wissenschaftslandschaft intensiv fördern. Die Politik kann diesen Wandel allerdings nicht alleine bewirken. Unser übergeordnetes Thema ist die Bürgergesellschaft. Diese wollen wir stärken, weil dort unglaublich produktive Potenziale liegen. Heute schon gibt es in Baden-Württemberg 130 .000 Energieerzeuger. Daran kann man erkennen, dass die Energiewende den Charakter eines Bürgerprojekts haben wird. Sie ist also nicht nur ein technisches, sondern auch ein demokratisches Vorhaben.

Das Interview führte Jan Sellner.

Quelle:

Stuttgarter Nachrichten
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